Helena Roerich

 

 

 

Die Grundlagen des Buddhismus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Die Evolution des neuen Zeitalters beruht auf dem

Grundstein von Wissen und Schönheit“

 

Nikolaus Roerich

 

 

Einleitung

 

 

Die erste Ausgabe der „Grundlagen des Buddhismus" erschien unter dem Namen Natalie Rokotoff, einem Pseudonym, das öfters von Helena Iwanowna Roerich benutzt wurde.

 

Nach Frau Roerichs Ableben im Jahre 1955 hat man sich nach Beratung mit ihrem Sohn Svetoslav Roerich entschlossen, Frau Roerichs eigenen Namen in die Neuauflage einzusetzen.

 

Das vorliegende Buch enthält verschiedene Ergänzungen, die auf Frau Roerichs Wunsch in die zweite Ausgabe miteinbezogen wurden.

 

 

* * *

 

Der Große Gotama gab der Welt eine umfassende Lehre für die vollkommene Lebensgestaltung. Jeder Versuch, aus dem großen Revolutionär einen Gott zu machen, führt ins Absurde.

Vor Gotama gab es allerdings eine ganze Reihe von Lehrern, die zum Allgemeinwohl beitrugen, doch im Laufe der Jahrtausende blieb nichts von alledem. Daher sollte die Lehre Gotamas als die erste Lehre von den Gesetzen der Materie und der Evolution der Welt anerkannt werden.

Das Verständnis, das man heute von der Gemeinschaft hat, ermöglicht es, eine wunderbare Brücke von Gotama Buddha bis zur Jetztzeit zu bauen. Wir wollen mit diesen Worten weder etwas auf- noch abwerten, sondern eine offensichtliche und unabänderliche Tatsache feststellen.

Das Gesetz der Furchtlosigkeit, das Gesetz des Verzichts auf Eigentum, das Gesetz der Wertschätzung der Arbeit, das Gesetz der Menschenwürde, das jenseits von Kasten oder äußeren Unterschieden gilt, das Gesetz wahren Wissens und das Gesetz der auf Selbsterkenntnis beruhenden Liebe machen aus den Vermächtnissen des Lehrers einen fortwährenden Regenbogen der Freude für die Menschheit.

Wir wollen die Grundlagen des Buddhismus aus den Offenbarungen herausarbeiten. Die einfache Lehre, die in ihrer Schönheit dem Kosmos gleicht, wird jede Vermutung der Vergötterung entkräften, die dem großen Lehrer der Menschheit unwürdig ist.

Wissen war der leitende Weg aller großen Lehrer. Wissen ermöglicht einen freien und lebendigen Zugang zur großen Lehre, die so wirklich ist wie die große MATERIE selbst.

Wir wollen nicht bis zu den letzten Einzelheiten vordringen, sondern kurz über die Grundlagen sprechen, die nicht geleugnet werden können.

 

Freude allen Menschen! Freude allen Schaffenden!

 

 

 

 

 

 

Die Grundlagen des Buddhismus

 

 

Wenn man die Grundlagen des Buddhismus erforschen will, darf man sich nicht nur an die späteren Verwicklungen und Verzweigungen halten. Es ist wichtig zu wissen, daß im buddhistischen Bewußtsein der Gedanke der Reinigung der Lehre immer lebendig bleibt. Bald nach dem Ableben des Lehrers fanden die gefeierten Konzile in Rajagriha statt, und später die Konzile in Vaisali und Patna, die die ursprüngliche Schlichtheit der Lehre wiederherstellten.

Die wichtigsten bestehenden Schulen des Buddhismus sind: das Mahayana (in Tibet, der Mongolei, bei den Kalmücken, Buriaten, in China, Japan, Nordindien) und das Hinayana (Indochina, Burma, Siam, Ceylon und Indien). Beide Schulen beziehen sich gleich stark auf die Eigenschaften des großen Lehrers.

Die Eigenschaften des Buddha sind: Muni = der Weise, aus dem Geschlecht der Sakyer; Sakya Simha = Sakya, der Löwe; Bhagavat = der Gesegnete; Sadhu = der Lehrer; Jina = der Eroberer; der Herrscher des wohltätigen Gesetzes.

Von ungewöhnlicher Schönheit ist die Ankunft des Königs in der Gestalt eines großen Bettelmönchs. „Ziehet aus, ihr Bettelmönche, bringet den Menschen Rettung und Wohltat." Dieses Gebot des Buddha und die Bezeichnung Bettelmönch beinhalten alles.

Versteht man die Lehre des Buddha, so wird einem bewußt, woher die Behauptung der Buddhisten stammt: „Buddha ist ein Mensch!" Seine Lehre des Lebens ist über jedes Vorurteil erhaben. Für ihn gibt es keinen Tempel, wohl aber eine Stätte der Versammlung und des Wissens – das tibetanische du-khang und tsug-lag-khang.

Buddha bestritt den herkömmlichen Gottesbegriff und verneinte die Existenz einer ewigen und unveränderlichen Seele. Buddha gab dieLehre für den Alltag. Er kämpfte gegen Besitz und Eigentum. Persönlich bekämpfte er den Fanatismus der Kasten und die Vorrechte der Klassen. Er betonte den Wert des zuverlässigen Erfahrungswissens und der Arbeit. Buddha gebot, das Leben im Universum in seiner vollen Wirklichkeit zu studieren. Buddha legte den Grundstein für die Gemeinschaft und sah gleichzeitig den Sieg der Weltgemeinschaft voraus.

Hunderte Millionen von Buddha-Verehrern sind über die ganze Welt verstreut, und jeder von ihnen versichert: „Ich suche Zuflucht in Buddha, ich suche Zuflucht in der Lehre, ich suche Zuflucht in der Gemeinschaft (Sangha)."

 

* * *

 

Aus den schriftlichen, buddhistischen Überlieferungen und unseren gegenwärtigen Forschungen haben wir eine Reihe von Einzelheiten über das Leben des Gotama Buddha zusammengestellt.

Buddhas Tod wird von manchen Forschern mit dem Jahr 483 v. Chr. angegeben. Nach den singhalesischen Chroniken lebte Buddha von 621–543 v. Chr., doch in chinesischen Chroniken scheint die Geburt des Buddha mit dem Jahr 1024 v. Chr. auf. Das Alter des Lehrers bei seinem Tod wird mit ungefähr 80 Jahren angegeben. Als Geburtsort wird Kapilavastu im nepalesischen Terai genannt. Das königliche Geschlecht der Sakyer, dem Gotama angehörte, ist bekannt.

Zweifellos wurden alle Biographien des großen Lehrers von seinen Zeitgenossen und Anhängern sehr genau ausgearbeitet, was besonders auf die Schriften jüngeren Datums zutrifft, doch um die Färbung und den Charakter der Epoche zu wahren, müssen wir uns weitgehend auf die überlieferten Ausführungen beziehen.

 

* * *

 

Nach den Überlieferungen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. befand sich das Gebiet von Kapilavastu in Nordindien, am Fuß des Himalaja, und war von zahlreichen Stämmen der Sakyer, Abkömmlinge von Ikshvaku aus der Sonnenrasse der Kshatriyas, bevölkert. Sie wurden vom Stammesältesten regiert, der in der Stadt Kapilavastu residierte, von der keine Spuren übriggeblieben sind, da sie bereits zur Zeit Buddhas durch einen feindlichen Nachbarkönig zerstört wurde. Zu dieser Zeit regierte Suddhodana, der letzte direkte Abkömmling von Ikshvaku, in Kapilavastu. Von diesem König und der Königin Maya wurde der künftige große Lehrer gezeugt, der den Namen Siddharta erhielt, was soviel bedeutet wie „Er, der seiner Aufgabe gerecht wurde".

Visionen und Prophezeiungen gingen der Geburt voraus, und das Ereignis selbst, am Vollmondtag im Mai, wurde von allen günstigen Zeichen am Himmel und auf Erden begleitet. So machte sich der im Himalaja lebende, große Rishi Asita, da er von den Devas erfahren hatte, daß ein Bodhisattva, der künftige Buddha, der Welt der Menschen im Lumbini Hain geboren worden sei und daß er das Rad der Heilslehre drehen werde, sofort auf den Weg, um dem künftigen Menschheitslehrer zu huldigen. Als er im Palast des Königs Suddhodana ankam, äußerte er den Wunsch, den neugeborenen Bodhisattva sehen zu dürfen. Der König befahl, dem Rishi, dessen Segen er erhoffte, das Kind zu bringen. Doch als der Rishi das Kind sah, lächelte er zuerst, und dann brach er in Tränen aus. Besorgt fragte ihn der König nach dem Grund seines Grams und ob er ein unheilvolles Zeichen für seinen Sohn gesehen habe? Darauf antwortete der Rishi, daß er nichts Nachteiliges für das Kind sähe. Er würde sich freuen, weil der Bodhisattva volle Erleuchtung erlangen und ein großer Buddha werden würde, und er würde sich grämen, weil es ihm selbst nicht mehr vergönnt sei, so lange zu leben, um die Verkündung der großen Lehre zu vernehmen.

Königin Maya starb nach der Geburt des großen Bodhisattva, und das Kind wurde in die Obhut ihrer Schwester Prajapati gegeben. In der buddhistischen Geschichte ist sie als erste Schülerin Buddhas sowie als Gründerin und Oberhaupt einer Bhikshuni-Gemeinde bekannt.

 

* * *

 

Am fünften Tag nach der Geburt wurden, wie die Weden berichten, einhundertacht Brahmanen von König Suddhodana in den Palast gebeten. Sie sollten dem neugeborenen Prinzen einen Namen geben und aus der Stellung der Gestirne sein Schicksal lesen. Acht der gelehrtesten sagten voraus: „Wem solche Sternzeichen gegeben sind wie dem Prinzen, der wird entweder ein universeller Monarch, ein Cakravartin oder, wenn er sich von der Welt zurückzieht, ein Buddha, der den Schleier der Unwissenheit von den Augen der Welt entfernt."

Der achte und jüngste der Brahmanen fügte hinzu: „Der Prinz wird die Welt verlassen, nachdem er vier Zeichen gesehen hat: einen Greis, einen kranken Mann, einen Leichnam und einen Einsiedler."

* * *

 

Der König, der seinen Sohn und Erben behalten wollte, traf alle Maßnahmen und Vorkehrungen, um dies sicherzustellen. Er umgab den Prinzen mit allem Prunk und allen Vergnügungen, die ihm als König möglich waren. Viele Umstände weisen darauf hin, daß der Prinz Siddharta eine ausgezeichnete Erziehung genoß, da Wissen als solches zur damaligen Zeit sehr geschätzt wurde; und nach einer Aufzeichnung im Buddhacarita von Asvaghosha erhielt die Stadt Kapilavastu ihren Namen zu Ehren des großen Kapila, des Gründers der Sankhya-Philosophie.

Manches Echo dieser Philosophie klingt in der Lehre des Gesegneten nach.

 

* * *

 

Zum besseren Verständnis ist im Kanon die Schilderung des prunkvollen Lebens am Hof Suddhodanas in die Worte des Buddha gekleidet:

„Ich war zärtlich umhegt, Bhikshus, ja aufs äußerste, unbegrenzte. Im Palast meines Vaters wurden für mich Lotosteiche angelegt, an einer Stelle für blaue Lotosblumen, an einer anderen für weiße und wieder an einer anderen Stelle für rote Lotosblumen, die für mich blühten. Ich benutzte nur Sandelöl aus Benares; aus Benaresstoffen waren meine drei Gewänder. Tag und Nacht wurde ein weißer Schirm über mich gehalten, damit ich nicht von Kälte, Hitze, Staub, Gräsern oder Regen belästigt wurde. Bhikshus, ich wohnte in drei Palästen: im einen im Winter, im anderen im Sommer und im dritten während der Regenzeit. Im Palast für die Regenzeit war ich von Musikern, Sängern und Tänzerinnen umgeben, und vier Monate verließ ich den Palast nicht. Bhikshus, in anderen Reichen bekamen die Diener und Knechte nur ein Gericht aus rotem Reis und Reissuppe, doch in meines Vaters Haus reichte man den Dienern und Knechten nicht nur Reis, sondern ein Gericht aus Reis und Fleisch."

Doch dieses prunkvolle und sorglose Leben konnte den großen Geist nicht befriedigen. Den ältesten Überlieferungen zufolge erwachte sein Verständnis für die Leiden und das Elend der Menschheit sowie für die Existenzprobleme viel früher, als in späteren Schriften behauptet wird.

So wird im Anguttara-Nikaya, anscheinend in Buddhas eigenen Worten, zitiert: „Beschenkt mit solchem Reichtum, aufgewachsen in solcher Behütetheit, erwachte der Gedanke: Wahrlich, der unerleuchtete Weltmensch, der dem Alter unterworfen ist, ohne ihm entkommen zu können, ist bedrückt, wenn er andere alt werden sieht. Auch ich bin dem Alter unterworfen und kann ihm nicht entrinnen. Sehe ich, der ich dem allen unterworfen bin, einen anderen, der alt, traurig, gepeinigt und krank ist, so erkenne ich, wie es um mich bestellt ist." (Das gleiche wiederholt sich bei Krankheit und Tod). „Ich dachte darüber nach, und mein ganzer jugendlicher Stolz verschwand."

 

* * *

 

Schon in frühester Kindheit zeigte der Bodhisattva ungewöhnliches Mitleid und Feingefühl für seine Umgebung. Nach dem Mahavastu wurde der Bodhisattva einmal vom König und seinem Gefolge in den Park mitgenommen. Er war alt genug, um allein umherzuwandern, und kam zu einem Dorf, wo er einen Frosch und eine Schlange sah, die der Pflug freigab. Der Frosch wurde als Nahrung mitgenommen und die Schlange weggeworfen. Dies bestürzte den Bodhisattva sehr. Er war von Trauer erfüllt und empfand äußerstes Mitleid. Da er in Ruhe nachdenken wollte, ging er zu einem alleinstehenden Rosenapfelbaum, setzte sich auf den Boden, bedeckte sich mit Blättern und versank in Meditation. Sein Vater ängstigte sich sehr, weil er ihn nicht finden konnte. Ein Hofdiener fand ihn, tief in Gedanken versunken, im Schatten des Rosenapfelbaums.

 

* * *

 

Ein anderes Mal sah er Arbeiter, mit ungekämmten Haaren, barfuß, schmierig und in Schweiß gebadet, die mit eisernen Stachelstöcken die Arbeitsochsen antrieben. Die Rücken und Rümpfe der Ochsen waren blutüberströmt, niedergedrückt von ihrem Joch keuchten sie dahin, und ihr Herz schlug sehr schnell. Sie waren von Fliegen und Insekten zerbissen, aufgeschlitzt vom Pflugteil und mit blutenden und eiternden Wunden bedeckt. Siddhartas weiches Herz wurde von Mitgefühl überwältigt.

„Wem gehört ihr?" fragte er die Pflüger.

„Wir gehören dem König", antworteten sie.

„Ab heute seid ihr nicht mehr Sklaven, ihr sollt nicht länger Diener sein. Geht, wohin es euch beliebt, und lebt in Freude."

Er befreite auch die Ochsen und sagte zu ihnen: „Geht! Freßt ab heute das süßeste Gras und trinkt das reinste Wasser und möge euch der Wind aus den vier Himmelsrichtungen erfrischen." Dann erblickte er einen schattigen Jambu-Baum, setzte sich darunter und gab sich ernster Meditation hin.

 

* * *

 

Devadatta sah eine Gans über sich fliegen und schoß sie ab; sie fiel in den Garten des Bodhisattva, der sie aufhob, ihr den Pfeil aus dem Gefieder zog und die Wunde verband. Devadatta sandte einen Boten; der den Vogel abholen sollte, doch der Bodhisattva weigerte sich, ihn herauszugeben, und sagte: „Er gehört dem, der ihn gerettet hat, nicht dem, der ihm nach dem Leben trachtete."

* * *

 

Als der Prinz das sechzehnte Lebensjahr erreicht hatte, mußte er gemäß den Sitten seines Landes eine Gattin wählen, nachdem er als Sieger aus dem Wettkampf von Svayamvara hervorgegangen war. Er wählte die Prinzessin Yasodhara aus demselben Sakyerstamm. Sie gebar ihm den Sohn Rahula, der später Schüler seines Vaters wurde und die Stufe eines Archaten erreichte.

 

* * *

 

Doch persönliches Glück, so groß es auch war, konnte den eifrig strebenden Geist des Bodhisattva nicht befriedigen. Sein Herz empfand weiterhin das ganze Leid seiner Mitmenschen, und sein Verstand, der die Vergänglichkeit alles Seienden erkannt hatte, fand keine Ruhe. Er stürmte wie ein von Giftspeeren durchbohrter Löwe durch die Hallen seines Palastes und stöhnte voller Schmerz: „Die Welt ist voll von Finsternis und Unwissenheit, und niemand weiß, wie man die Leiden des Daseins heilen kann."

Dieser Geisteszustand ist in den vier vorherbestimmten Begegnungen symbolisch beschrieben, nach denen er sein Königreich verließ und versuchte, die Welt von ihrem Elend zu befreien. In einer alten Biographie in Versen findet man nach der dritten Begegnung eine Anmerkung, die besagt, daß nur der Bodhisattva und sein Wagenlenker den Leichnam, der über die Straße getragen wurde, gesehen haben. Nach diesem Sutra hatte der Prinz gerade sein neunundzwanzigstes Lebensjahr vollendet.

Eines Tages bat der Prinz seinen Wagenlenker Chandaka, ihn in den Park zu fahren. Dort sah er einen alten Mann, und der Wagenlenker erklärte ihm, was Alter bedeutet und daß ihm alle unterworfen sind. Tief beeindruckt kehrte der Prinz um und fuhr nach Hause. Kurze Zeit später, als er wieder ausfuhr, begegnete er einem Kranken, der nach Atem rang; sein Körper war entstellt, verkrampft und von Schmerzen geschüttelt; der Wagenlenker erklärte dem Prinzen, was Krankheit bedeutet und daß ihr alle Menschen ausgesetzt sind. Und wieder begab er sich nach Hause. Alle Vergnügungen erschienen ihm schal und die Freuden des Lebens widerlich.

Ein anderes Mal begegnete er einer Prozession mit Lichtfackeln, die eine Sänfte trug, auf der etwas in ein Leinentuch gehüllt war. Die Frauen, die den Zug begleiteten, hatten aufgelöste Haare und weinten jämmerlich – es war ein Leichnam, und Chandaka sagte, alle würden diesen Zustand erreichen. Und der Prinz rief aus: „O, ihr Erdenmenschen! Wie verhängnisvoll ist eure Verblendung! Euer Körper wird unweigerlich zu Staub zerfallen, und dennoch lebt ihr unbekümmert und sorglos dahin." Als der Wagenlenker bemerkte, wie tief dieser Anblick den Prinzen beeindruckt hatte, wendete er seine Pferde und fuhr zurück in die Stadt.

Ein anderer Zwischenfall, der dem Prinzen widerfuhr, schien ihm die Lösung aller Probleme anzudeuten. Als sie an den Palästen der Adeligen vorbeikamen, sah eine Sakyer-Prinzessin den Prinzen vom Balkon ihres Palastes aus und grüßte ihn mit einem Spruch, in dem sich das Wort Nibutta (Nirwana) in jeder Zeile wiederholte; er lautet:

 

„Selig der Vater, der Dich zeugte,

 Selig die Mutter, die Dich nährte,

 Selig das Weib, das diesen so glorreichen Herrn Ehegatten nennt,

 Sie hat das Leid überwunden."

 

Als der Prinz das Wort Nibutta vernahm, löste er eine kostbare Perlenkette von seinem Hals und schickte sie der Prinzessin als Belohnung für ihre Weisung. Er dachte: „Selig sind jene, die Befreiung gefunden haben. Da sich mein Geist nach Frieden sehnt, will ich den Segen Nirwanas suchen."

In der selben Nacht träumte Yasodhara, daß der Prinz sie verließ; sie erwachte und erzählte ihm ihren Traum. „Mein Herr, wohin Du gehst,, laß auch mich gehen." Und er, der daran dachte, dorthin zu gehen, wo es keine Sorgen gibt, antwortete: „So sei es, wohin auch immer ich gehe, mögest auch du hingehen."

Nach der Rückkehr des Buddha wurden Yasodhara und seine Ziehmutter Prajapati seine ersten Schülerinnen.

 

Es war Nacht. Der Prinz konnte keinen Schlaf finden. Darum stand er auf und ging in den Garten. Er setzte sich unter den großen Jambu-Baum und gab sich seinen Gedanken hin, dachte über das Leben nach, über den Tod und das Übel des Zerfalls. Er sammelte seine Gedanken, wurde frei von Verwirrung, und völlige Ruhe überkam ihn. In diesem Zustand öffnete sich sein geistiges Auge, und er erblickte eine erhabene Gestalt, die Ruhe und Würde ausstrahlte. „Woher kommst du, und wer bist du ?" fragte der Prinz. Die Gestalt antwortete: „Ich bin ein Sramane. Voller Sorge durch die Gedanken an Alter, Krankheit und Tod verließ ich mein Heim und suche nun den Pfad der Erlösung. Alle Dinge nähern sich dem Zerfall; nur die Wahrheit besteht für immer. Alles verändert sich, und es gibt keine Dauer; doch die Worte der Buddhas sind unvergänglich."

Siddhartha fragte: „Kann denn in dieser Welt der Sorge Frieden erlangt werden? Ich bin betroffen von der Leere der Vergnügungen, und zügellose Begierden widern mich an. Das alles bedrückt mich, und das Dasein selbst scheint mir unerträglich."

Der Sramane antwortete: „Wo Wärme ist, da kann es auch Kälte geben. Die Geschöpfe, die dem Leid unterworfen sind, können sich auch freuen. Der Ursprung des Bösen zeigt, daß das Gute entwickelt werden kann. Denn diese Begriffe bedingen einander. So gibt es dort, wo viel Leid ist, auch viel Segen, wenn Du nur Deine Augen öffnest, um das zu erkennen. So wie der Mensch, der in einen Haufen Unrat fiel, den nahen, mit Lotosblüten bedeckten Teich suchen sollte, so suche Du den großen, unsterblichen See des Nirwana, um den Schmutz der Sünde abzuwaschen. Wird aber nach dem See nicht gesucht, so ist es nicht seine Schuld. Genauso ist es nicht die Schuld des Weges, sondern die des Menschen, wenn er, der durch die Sünde gefesselt ist, den gesegneten Weg, der ihn zur Erlösung des Nirwana führt, nicht beschreitet. Und nimmt ein Kranker die Hilfe eines Arztes, der ihn heilen könnte, nicht in Anspruch, so ist es nicht die Schuld des Arztes. Sucht ein Mensch, der an der Krankheit der Sünde leidet, nicht den geistigen Führer der Erleuchtung, so ist es nicht die Schuld des die Sünden abwehrenden Führers."

 

Der Prinz lauschte diesen weisen Worten und sagte: „Ich weiß, daß sich mein Zweck erfüllen wird, doch mein Vater hält mich für zu jung und lebhaft, um das Leben eines Sramanen zu führen."

Die ehrwürdige Gestalt antwortete: „Du solltest wissen, daß für die Suche nach Wahrheit keine Zeit ungelegen ist."

Ein Freudenstrahl durchdrang Siddharthas Herz. „Jetzt ist die Zeit, die Wahrheit zu suchen. Jetzt ist es Zeit, alle Bande zu lösen, die mich davon abhalten könnten, vollkommene Erleuchtung zu erlangen."

Der Himmelsbote vernahm den Entschluß Siddharthas mit Befriedigung: „Geh hin, Siddhartha, und erfülle Deinen Auftrag. Denn Du bist Bodhisattva, der erwählte Buddha; Dir ist es bestimmt, die Welt zu erleuchten. Du bist der Tathagata, der Vollendete, denn Du wirst Rechtschaffenheit vorleben und Dharma-raja sein, der König der Wahrheit. Du bist Bhagavat, der Gesegnete, denn Du bist berufen, der Retter und Erlöser der Welt zu sein.

Vollende die Wahrheit! Wenngleich der Blitz auf Dein Haupt niedergeht, gib den Verlockungen nicht nach, die den Menschen vom Pfad der Wahrheit ablenken. Wie die Sonne zu allen Zeiten ihren eigenen Lauf fortsetzt, ohne einen anderen zu suchen, so wirst Du, wenn Du den direkten Pfad der Rechtschaffenheit nicht verläßt, ein Buddha werden.

Harre aus in Deinem Suchen – und Du wirst finden, was Du suchst. Verfolge unerschütterlich Dein Ziel, und Du wirst siegen. Der Segen aller Gottheiten, all derer, die das Licht suchen, ist mit Dir, und himmlische Weisheit leitet deine Schritte. Du wirst der Buddha sein, Du wirst die Welt erleuchten und die Menschheit vor dem Untergang retten."

Nach diesen Worten verschwand die Vision, und Siddharthas Seele war von Ekstase erfüllt. Er sagte zu sich selbst: „Mir ist die Wahrheit bewußt geworden, und ich bin entschlossen, meine Aufgabe zu erfüllen. Ich will alle Bande lösen, die mich an die Welt binden und will mein Heim verlassen, um den Weg der Erlösung zu suchen. Wahrlich, ich werde ein Buddha."

Der Prinz kehrte zum Palast zurück, für einen letzten Blick des Abschieds von jenen, die er mehr als alle Schätze der Erde liebte. Er begab sich zu den Räumlichkeiten der Mutter Rahulas und öffnete die Tür zu Yasodharas Gemach. Dort brannte eine Lampe mit wohlriechendem Öl. Auf dem mit Jasmin bestreuten Bett schlief Yasodhara, die Mutter Rahulas, die Hand auf dem Kopf ihres Sohnes. Der Bodhisattva stand an der Türschwelle, betrachtete sie und wurde sehr traurig. Der Schmerz des Abschieds traf ihn hart. Doch nichts konnte seinen Entschluß erschüttern, mutigen Herzens bezwang er seine Gefühle und riß sich los. Er bestieg seine Stute Kanthaka und ritt durch das weit geöffnete Palasttor in die stille Nacht, nur von seinem treuen Wagenlenker Chandaka begleitet. So entsagte Siddhartha, der Prinz, den weltlichen Freuden, gab sein Königtum auf, löste alle Bande und wurde heimatlos. Bis heute haben vier Stätten in Indien die der Lehre des Gesegneten Buddha ergebenen Pilger angezogen. Sein Geburtsort Kapilavastu war eine in Nordindien am Fuße des Himalaja gelegene Stadt, am Ursprung des Flusses Gandak; sie wurde noch zu Lebzeiten Buddhas zerstört; die Stelle seiner Erleuchtung, Buddhagaya, wo sich der oft erwähnte Hain Uruvela befand, in dessen Schatten Gotama alle seine Errungenschaften in höchster Erleuchtung vereinte; die Stätte seiner ersten Predigt, Sarnath (bei Benares), wo Buddha der Legende nach das Rad des Gesetzes in Bewegung setzte. Diese Stätte zeigt noch Spuren von Überresten der ältesten Gemeinschaften. Und seine Todesstätte Kusinara (Nepal). In den Aufzeichnungen des chinesischen Reisenden FaHsien (392–414 n. Chr.), der auch Indien besuchte, finden wir eine Beschreibung des Gebietes von Kapilavastu sowie von anderen verehrten Stätten.

Trotz dieser Tatsachen, trotz der alten Säulen von König Asoka gibt es manche, die aus Buddha einen Mythos machen wollen und dieser wertvollen Lehre ihre Authentizität absprechen. Der französische Schriftsteller Senart behauptet in einem seiner Werke, daß Buddha ein Sonnenmythos war. Doch die Wissenschaft hat auch hier die Existenz des Lehrers Gotama Buddha als Mensch nachgewiesen. Sowohl die Urne mit einem Teil der Asche und Gebeine Buddhas, die man in Piprawa (Nepal-Terai) fand und die mit einem Datum und einer Inschrift versehen ist, als auch eine historische Urne mit Überresten des Lehrers, begraben von König Kanishka und gefunden nahe Peshawar, bezeugen eindeutig den Tod des ersten Lehrers der Weltgemeinschaft – Gotama Buddha.

Man darf nicht glauben, daß Buddha sein Leben in allgemeiner Anerkennung und Ruhe verbracht hat. Im Gegenteil, es gibt Anzeichen für Verleumdung und Hindernisse aller Art, die den Lehrer in seinem Kämpfertum aber nur stärkten und damit die Bedeutung seiner Errungenschaften vermehrten. Viele Begebenheiten zeigen die Feindseligkeit, die ihm die Asketen und Brahmanen entgegenbrachten. Die Asketen haßten ihn, weil er ihren Fanatismus tadelte, und die Brahmanen zürnten ihm, weil er ihnen soziale Vorrechte verweigerte und ihnen die Kenntnis der Wahrheit allein aufgrund ihrer Geburt absprach. Den Asketen sagte er: „Wenn man nur durch Verzicht auf Nahrung und menschliche Lebensbedingungen Vervollkommnung und Befreiung von den den Menschen an die Erde fesselnden Banden erlangen könnte, dann hätten ein Pferd oder eine Kuh sie längst erreicht."

Den Brahmanen sagte er: „Durch seine Taten wird ein Mensch ein Paria – durch seine Taten wird er ein Brahmane. Das von einem Brahmanen entzündete Feuer hat die gleiche Flamme, Leuchtkraft und das gleiche Licht wie das von einem Sudra entzündete Feuer. Wohin hat euch eure Absonderung geführt? Um Brot zu beschaffen, geht ihr auf den öffentlichen Markt und schätzt die Münzen aus der Börse eines Sudra. Eure Absonderung kann nur als Humbug bezeichnet werden, und eure scheinheiligen Verhaltensweisen sind nur ein Mittel der Irreführung."

„Sind die Besitztümer der reichen Brahmanen nicht eine Entweihung des Göttlichen Gesetzes? Für euch bedeutet der Süden Licht und der Norden Dunkelheit. Es wird eine Zeit kommen, in der ich aus der Mitternacht kommen werde und euer Licht ausgelöscht werden wird. Selbst die Vögel fliegen nordwärts, um ihre Jungen zur Welt zu bringen. Sogar die Graugänse kennen den Wert irdischen Besitzes. Aber der Brahmane ist darum bemüht, seinen Gürtel mit Gold zu füllen und seine Schätze unter der Schwelle seines Hauses zu horten. Brahmanen, ihr führt ein verachtenswertes Leben, und euer Ende wird erbärmlich sein! Ihr werdet die ersten sein, die von Zerstörung heimgesucht werden. Wenn ich nach Norden gehe, werde ich auch von dort zurückkehren."

(Aus mündlichen Überlieferungen von Buddhisten in Indien)

 

Es kam vor, daß ein Großteil der Zuhörer Buddha nach seiner Ansprache verließ und der Gesegnete sagte dann: „Die Spreu hat sich vom Korn getrennt; die bleibende Gemeinschaft, die stark ist in ihrer Überzeugung, hat sich gebildet. Es ist gut, daß die Eitlen fortgegangen sind." Denken wir an den Vorfall, als sein engster Schüler und Vertrauter Devadatta den Gedanken faßte, auf den vorbeigehenden Lehrer einen Stein zu werfen, und es ihm sogar gelang, dessen Zehe zu verletzen. Erinnern wir uns auch an das grausame Schicksal, das seinen Stamm und sein Land durch die Rache des benachbarten Königs heimsuchte. Die Legende berichtet, daß Buddha, der mit seinem Lieblingsschüler Ananda weit entfernt von der Stadt weilte, beim Angriff auf sein Land heftige Kopfschmerzen verspürte. Er legte sich auf den Boden und bedeckte sich mit seinem Gewand, um vor dem einzigen Zeugen den Kummer zu verbergen, der sein unbeugsames Herz überwältigte.

Auch von physischen Krankheiten blieb Buddha nicht verschont. Heftige Rückenschmerzen werden oft erwähnt, und sogar sein Tod war auf giftige Nahrung zurückzuführen. Alle diese Einzelheiten lassen ihn uns sehr menschlich und vertraut erscheinen.

 

* * *

 

Das Wort Buddha ist kein Name, sondern bezeichnet den Zustand eines Geistes, der die höchste Entwicklungsstufe erreicht hat; wörtlich übersetzt bedeutet es „der Erleuchtete" oder „der, welcher vollkommenes Wissen und Weisheit besitzt".

Nach den Pali Sutten nahm Buddha niemals Allwissenheit für sich in Anspruch, wie sie seine Schüler und Anhänger ihm zuschrieben: „Jene, die dir sagten, Vaccha, daß der Lehrer Gotama alles wisse, alles sehe, sich unbegrenzte Kräfte der Voraussicht und des Wissens zuschreibe und gesagt habe ,Ob in Bewegung oder Stillstand, wachend oder schlafend, immer und überall herrscht Allwissenheit in mir', – diese Menschen sagen nicht das, was ich gesagt habe; obwohl das nicht der Wahrheit entspricht, klagen sie mich an."

Die Kräfte Buddhas haben mit Wundern nichts gemein, denn ein Wunder ist ein Verstoß gegen die Gesetze der Natur. Die höchste Macht des Buddha steht in vollem Einklang mit der ewigen Ordnung der Dinge. Seine übermenschlichen Fähigkeiten sind allerdings wie ein Wunder, zumindest insofern, als die Handlungen eines Menschen einem niedrigeren Lebewesen als Wunder erscheinen müssen. Für die sich selbst aufopfernden Helden, für die Kämpfer um wahres Wissen ist es ebenso natürlich, ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten zu offenbaren, wie für einen Vogel zu fliegen oder für einen Fisch zu schwimmen. Nach einer Überlieferung ist Buddha „nur ein ,älterer Bruder' der Menschen, der sich von ihnen nicht mehr unterscheidet als das zuerst ausgeschlüpfte Küken vom späteren Küken derselben Henne". Sein Wissen hob ihn empor auf eine andere Stufe, denn das Prinzip der Verschiedenartigkeit ruht in der Tiefe des Bewußtseins. Die Menschlichkeit Gotama Buddhas wird in den ältesten Schriften, aus denen folgender Ausspruch stammt, besonders hervorgehoben: „Gotama Buddha ist der vollkommenste der Zweibeiner."

Die Pali Sutten enthalten viele lebendige Beschreibungen der hohen Eigenschaften des Lehrers Gotama, der den Weg aufgezeigt hat. Wir wollen einige herausgreifen: „Er ist der Führer der Karawane, der Gründer, der Lehrer, der unvergleichliche Erzieher der Menschen. Die Menschheit rollte wie das Rad eines Wagens ihrer Vernichtung entgegen, verlassen, ohne Führer und Beschützer. Er zeigte ihr den rechten Weg. Er ist der Herr des Gesetzes der Wohltätigkeit. Er ist der Löwe des Gesetzes."

„Er ist ein wundersamer Arzt; durch sein Mitleid heilt er schwer kranke Menschen."

„Der ehrwürdige Gotama ist der Mann am Pflug, sein Feld ist die Unsterblichkeit."

„Er ist das Licht der Welt. Er hebt den Menschen von der Erde empor. Er enthüllt, was verborgen ist. Er trägt die Fackel in der Finsternis, damit jene, die Augen haben, sehen mögen; so erleuchtet Gotama seine Lehre von allen Seiten."

„Er ist der Befreier. Er befreit, weil er selbst befreit wurde." Seine Moral und seine geistige Vollkommenheit bezeugen die Wahrheit seiner Lehre; und die Macht seines Einflusses auf jene, die ihn umgaben, beruhte auf dem Beispiel seines persönlichen Wirkens.

Alte Schriften betonen immer die grundlegende Anwendbarkeit seiner Lehre. Gotama entfernte sich nicht vom Leben, sondern er nahm am Alltagsleben der Arbeiter teil. Er bemühte sich, ihnen seine Lehre näherzubringen, ermöglichte ihnen die Teilnahme in seinen Gemeinschaften, nahm ihre Einladungen an und scheute sich nicht, Kurtisanen und Rajas aufzusuchen – die beiden Zentren sozialen Lebens in den indischen Städten. Er vermied es, die traditionellen Bräuche unnötig zu verletzen. Darüber hinaus suchte er die Möglichkeit, diesen Menschen seine Lehre näherzubringen, und fand Unterstützung hierfür in einer besonders in Ehren gehaltenen Tradition, die im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien stand.

In seiner Lehre gab es nichts Abstraktes. Er sah im Ideal mystischen und transzendenten Lebens niemals einen Gegensatz zur bestehenden Wirklichkeit. Er hob die Wirklichkeit aller bestehenden Dinge und Umstände für den gegenwärtigen Augenblick hervor. Sein Denken und Handeln befaßte sich hauptsächlich mit den Lebensumständen. Den Inhalt seiner Reden und Gleichnisse entnahm er dem Alltagsleben, wobei er die einfachsten Bilder und Vergleiche benützte.

Von dem Standpunkt ausgehend, daß Natur und menschliches Leben eine Parallele bilden, glauben die Hindu-Denker, daß uns die Erscheinungen der Natur viele Dinge in den Erscheinungen des Lebens erklären können. Indem Buddha diese Methode in seiner Lehre anwandte, bewahrte er die Erfahrung dieser alten Tradition. „Ich werde es dir durch ein Gleichnis erklären, denn bei vielen rationalen Menschen kann durch Gleichnisse Verständnis erweckt werden." Das waren die üblichen Worte Buddhas, und diese einfache, lebensnahe Einführung verlieh seiner Lehre Lebendigkeit und Überzeugungskraft.

Sein Einfluß auf die Menschen entsprach seinem Glauben an sich selbst, an seine Macht und seine Mission. Er paßte sich stets der Situation des einzelnen Schülers und Zuhörers an und vermittelte ihnen ihrem Verständnis entsprechend das Wichtigste. Weder belastete er seine Schüler und Zuhörer, die für die Aufnahme des höchsten Wissens noch nicht reif waren, mit schwierigen intellektuellen Denkvorgängen, noch ermutigte er jene, die nach abstraktem Wissen suchten, ohne seine höchst ethische Lehre im Leben zu befolgen. Als einmal so ein Mann mit Namen Malunkya den Gesegneten nach dem Ursprung der Dinge fragte, blieb dieser stumm, denn er hielt es für die wichtigste Aufgabe, die Realität unserer Umgebung zu bejahen; das bedeutet, die Dinge so zu sehen, wie sie um uns herum existieren, und zuerst zu versuchen, sie zu vervollkommnen und ihre Evolution zu beschleunigen, und nicht Zeit mit intellektueller Spekulation zu verschwenden. Buddhas Wissen war sicherlich nicht auf seine Lehre beschränkt, doch eine gewisse Vorsicht, die auf großer Weisheit beruhte, ließ ihn zögern, Gedanken preiszugeben, die, wenn sie mißverstanden werden, verhängnisvoll sein könnten.

Einmal verweilte der Gesegnete im Simsapa-Hain bei Kausambi, nahm einige Blätter Simsapa in die Hand und sagte zu seinen Schülern: „Was denkt ihr, meine Schüler, ist mehr, die Blätter in meiner Hand oder die restlichen Blätter oben im Simsapa-Hain?"

„Die Blätter, die der Gesegnete in seiner Hand hält, sind von geringer Zahl, weit mehr gibt es über uns im Simsapa-Hain."

„Genauso ist das, Schüler, was ich wahrgenommen und euch nicht mitgeteilt habe, ist weit mehr als das, was ich euch mitgeteilt habe. Und warum, Schüler, habe ich euch dies nicht enthüllt? Weil es für euch nicht von Nutzen wäre, weil es nicht zu einem höheren Leben beiträgt, weil es nicht zur Abkehr von der irdischen Welt führt, weil es nicht zur Vernichtung der Begierden, zur Beendigung des Vergänglichen, nicht zu Frieden, höherem Wissen, zum Erwachen, zu Nirwana führt. Darum habe ich euch nicht davon erzählt. Und was habe ich euch mitgeteilt? Das, was Leiden ist, die Quelle des Leidens, das Ende des Leidens und den Weg, der zum Ende des Leidens führt."

Und seine Lehre war in jedem Einzelfall so persönlich und praktisch, daß drei Gruppen eingerichtet wurden, in denen die Lehre vermittelt wurde: je ein Kreis für die Auserwählten, die Mitglieder der Gemeinschaft und die Allgemeinheit.

 

Durch die Gründung seiner Gemeinschaften versuchte Buddha, die besten Bedingungen für jene zu schaffen, die fest entschlossen waren, an ihrer Bewußtseinserweiterung zu arbeiten, um höheres Wissen zu erlangen. Dann sandte er sie aus als Lehrer des Lebens, als Verkünder einer Weltgemeinschaft.

Die von seinen Schülern geforderte, ständige Selbstdisziplin in Gedanken, Worten und Taten, ohne die es auf dem Weg der Vervollkommnung keinen Fortschritt geben kann, ist fast unerreichbar für jene, die unter gewöhnlichen Bedingungen leben, wo Tausende von äußeren Umständen und kleine Verpflichtungen den Bestrebten ständig von seinem Ziel ablenken. Doch das Leben unter Menschen, die durch das gleiche Streben, gemeinsame Gedanken und Gewohnheiten verbunden sind, war eine große Hilfe, denn es bot die Möglichkeit, sich ohne Energieverlust in die gewünschte Richtung zu entwickeln.

Buddha – der lehrte, daß im ganzen Universum alles in Wechselbeziehung steht; der wußte, daß ohne Zusammenarbeit nichts bestehen kann; der erkannte, daß der Selbstsüchtige und Eingebildete die Zukunft nicht aufbauen kann, da er sich aufgrund des kosmischen Gesetzes außerhalb des Lebensstroms befindet, der alles, was existiert, der Vervollkommnung entgegenträgt, – streute seine Saat geduldig aus, errichtete die Zellen auf gemeinschaftlicher Basis und sah in ferner Zukunft die Verwirklichung der großen Weltgemeinschaft voraus.

Die Einhaltung zweier Regeln war für die Aufnahme in die Gemeinschaft erforderlich: sittliche Reinheit und völliger Verzicht auf persönliches Eigentum. Die übrigen Regeln betrafen strenge Selbstdisziplin und Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft. Jeder, der in die Gemeinschaft eintrat, sprach den Satz: „Ich suche Zuflucht in Buddha, ich suche Zuflucht in der Lehre, ich suche Zuflucht in der Gemeinschaft, die meine Furcht vernichtet." Das erste bezieht sich auf seine Lehre, das zweite auf die unwandelbare Wahrheit und das dritte auf das Beispiel des erhabenen Gesetzes, das Buddha vertrat.

Der Verzicht auf Eigentum wurde streng befolgt. Doch er mußte sich nicht so sehr äußerlich zeigen, sondern ins Bewußtsein aufgenommen werden.

Einmal fragte ein Schüler den Lehrer: „Wie ist die Erfüllung des Gebotes betreffend den Verzicht auf Eigentum zu verstehen? Ein Schüler entsagte allen Dingen, aber sein Lehrer tadelte ihn trotzdem, ein anderer dagegen blieb von Dingen umgeben und verdiente keinen Tadel?"

„Das Gefühl des Eigentums wird nicht an den Dingen gemessen, sondern an den auf sie gerichteten Gedanken. Man kann Dinge besitzen, ohne sich deshalb als Besitzer zu fühlen."

Buddha riet immer, möglichst wenige Dinge zu besitzen, um ihnen nicht zu viel Zeit widmen zu müssen. Das ganze Leben in der Gemeinschaft war strenger Disziplin unterworfen; die Grundlage der Lehre Buddhas war eiserne Selbstdisziplin, um unkontrollierte Gefühle und Gedanken zu zügeln und einen unbeugsamen Willen zu entwickeln. Erst wenn der Schüler seine Gefühle beherrschte, hob der Lehrer ein wenig den Schleier und teilte ihm eine Aufgabe zu. Erst dann wurde der Schüler allmählich in die Tiefe des Wissens eingeführt. Aus solchen Menschen, die diszipliniert und durch strengen Verzicht auf alles Persönliche geübt und daher stark und furchtlos waren, wollte Gotama Buddha Arbeiter für das Allgemeinwohl, Schöpfer des menschlichen Bewußtseins und Vorläufer der Weltgemeinschaft machen.

In der Lehre Gotamas war Mut ein wichtiger Bestandteil des Unterbaus von allen Errungenschaften. „Es gibt kein wahres Mitgefühl ohne Mut. Selbstbeherrschung kann man ohne Mut nicht erlernen. Geduld ist Mut. Ohne Mut kann man weder in die Tiefe wahren Wissens eindringen noch die Weisheit eines Archaten erlangen." Gotama verlangte von seinen Schülern vollkommene Überwindung der Furcht. Er forderte sowohl Furchtlosigkeit des Gedankens als auch der Tat. Die Bezeichnung des Gotama als „Löwe" und seine persönliche Aufforderung, alle Hindernisse wie ein Rhinozeros oder Elefant zu durchschreiten, zeigen, welches Maß an Furchtlosigkeit er forderte. Daher kann die Lehre Gotamas vor allem als die „Lehre der Furchtlosigkeit" bezeichnet werden.

„Krieger nennen wir uns, oh Schüler,

 weil wir Krieg führen.

 Wir führen Krieg für erhabene Tugend,

 für hohes Streben, für höchste Weisheit.

 Daher nennt man uns Krieger."

 

Nach der Überlieferung erreichte Gotama die Erleuchtung durch die Enthüllung der „Kausalketten" (zwölf Nidanas). Das Problem, das ihn viele Jahre hindurch gequält hatte, war gelöst. Als er über Ursache und Wirkung meditierte, erkannte Gotama die Quelle des Übels:

12) Sein ist Leiden, denn es enthält Alter, Tod und unendliches Leid.

11) Ich leide, weil ich geboren wurde.

10) Ich wurde geboren, weil ich zur Welt des Seins gehöre.

  9) Ich existiere, weil ich das Sein in mir nähre.

  8) Ich nähre das Sein, weil ich Begierden habe.

  7) Ich habe Begierden, weil ich Empfindungen habe.

  6) Ich habe Empfindungen, weil ich mit der Außenwelt in Berührung komme.

  5) Die Berührung erfolgt durch die Tätigkeit meiner sechs Sinne.

  4) Meine Sinne treten in Erscheinung, weil ich mich als  Persönlichkeit allem Unpersönlichen entgegenstelle:

  3) Ich bin eine Persönlichkeit, weil ich ein Bewußtsein habe, das durchdrungen ist von dem Bewußtsein dieser Persönlichkeit.

  2) Dieses Bewußtsein entstand auf Grund meiner früheren  Existenzen.

  1) Diese Existenzen trübten mein Bewußtsein, weil ich unwissend  war.

 

Üblicherweise werden diese zwölf Lehrsätze in umgekehrter Reihenfolge angeführt:

  1) Avidya (Finsternis, Unwissenheit)

  2) Samskara (Karma)

  3) Vijnana (Bewußtsein)

  4) Nama-rupa (Form – das mit den Sinnen Erfaßbare und das nicht  Erfaßbare)

  5) Shad-ayatana (die sechs transzendenten Grundlagen der Gefühle, Empfindungen)

  6) Sparsa (die Berührung)

  7) Vedana (Gefühle)

  8) Trishna (Durst, Hunger)

  9) Upadana (Bestrebungen, Bindungen)

10) Bhava (Sein)

11) Jati (Geburt)

12) Jara (Alter, Tod)

 

Demnach sind Finsternis und Unwissenheit die grundlegenden Ursachen alles menschlichen Leids. Dem entspringt auch Gotamas Definition und Verurteilung der Unwissenheit. Er bezeichnet die Unwissenheit als das größte Übel, weil sie die Ursache des menschlichen Leids ist, da sie uns dazu treibt, das zu schätzen, was nicht schätzenswert ist; zu leiden, wo es kein Leid geben sollte; Illusion für Wirklichkeit zu halten; sein Leben mit Bedeutungslosem zu verbringen und zu vernachlässigen, was in Wirklichkeit das wertvollste ist: das Wissen um das Mysterium menschlichen Seins und menschlicher Bestimmung.

Das Licht, das diese Finsternis zerstreuen und vom Leid befreien kann, wurde von Gotama Buddha als die Kenntnis der Vier Edlen Wahrheiten bezeichnet:

1) Das Leid inkarnierten Seins, das durch die dauernde Wiederkehr  von Tod und Geburt verursacht wird.

2) Die Ursache dieses Leidens liegt in Unwissenheit, im Hunger nach Selbstbestätigung durch irdischen Besitz, der die unaufhörliche Wiederholung unvollkommenen Seins nach sich zieht.

3) Die Beendigung des Leidens liegt im Erreichen eines erleuchteten Zustands, der alles in sich miteinschließt, denn so entsteht die Möglichkeit, den Kreislauf irdischen Seins bewußt zu beenden.

4) Der Weg zur Beendigung dieser Leiden besteht im allmählichen Stärken der Fähigkeiten, die notwendig sind, um die Ursachen der irdischen Existenz zu überwinden und sich der großen Wahrheit zu nähern.

 

Der Weg zu dieser Wahrheit wurde von Gotama achtfach unterteilt:

1) Rechtes Verstehen des Gesetzes von Ursache und Wirkung

2) Rechtes Denken

3) Rechtes Reden

4) Rechtes Handeln

5) Rechtes Leben

6) Rechte Arbeit

7) Rechte Wachsamkeit und Selbstdisziplin

8) Rechte Konzentration

 

Ein Mensch, der diese Regeln im Leben befolgt, wird vom Leid irdischen Seins befreit, das nur die Folge von Unwissenheit, Wünschen und Begierden ist. Gelingt diese Befreiung, hat man Nirwana erreicht. Was ist Nirwana? „Nirwana trägt die Möglichkeit in sich, alle Handlungen zu beinhalten und ist zugleich die Grenze des alles Einschließenden. Das Beben der Erleuchtung zieht wahres Wissen an. Ruhe ist nur ein äußeres Zeichen, sie bringt das Wesen dieses Zustands nicht zum Ausdruck." Unserem derzeitigen Verständnis gemäß würden wir Nirwana als einen Zustand definieren, in dem alle Bestandteile und Energien eines Individuums vollkommen sind und dessen Intensität die Grenze des in der momentanen kosmischen Runde Erreichbaren darstellt.

Gotama Buddha hob auch zehn große Hindernisse hervor, die er als Fesseln bezeichnete:

  1) Die Illusion der Persönlichkeit

  2) Zweifel

  3) Aberglaube

  4) Physische Leidenschaften

  5) Haß

  6) Bindung an das Irdische

  7) Der Wunsch nach Vergnügen und Nichtstun

  8) Stolz

  9) Selbstzufriedenheit

10) Unwissenheit

 

Um höheres Wissen zu erlangen, ist es nötig, diese Fesseln abzustreifen.

Im Buddhismus werden die Unterteilungen der Sinne und die Beweggründe des intellektuellen Prozesses, die Selbsterkenntnis fördern oder behindern können, bis ins kleinste Detail erläutert, vor allem durch geistige Übungen und die genaue Analyse jedes Objekts. Befolgt der Mensch diese Methode der Selbsterkenntnis, so erlangt er schließlich das Wissen um die wahre Realität und sieht die Wahrheit, wie sie ist. Das ist die Methode, die jeder weise Lehrer für die Geistesentwicklung des Schülers anwendet.

Als Gotama die Vier Edlen Wahrheiten und den edlen Pfad predigte, verurteilte er einerseits die von Asketen praktizierte körperliche Kasteiung, andererseits das ausschweifende Leben, und zeigte den achtstufigen Pfad als den Weg zur Harmonisierung der Sinne und zur Erlangung der sechs vollkommenen Eigenschaften eines Archaten auf: Mitgefühl, Ethik, Geduld, Mut, Konzentration und Weisheit.

Buddha bestand darauf, daß seine Schüler das Prinzip der zwei Extreme erkannten, denn die Wirklichkeit kann man nur durch die Gegenüberstellung zweier Extreme erfassen. Konnte der Schüler diese Aufgabe nicht meistem, führte ihn der Gesegnete nicht in weiteres Wissen ein, denn dies wäre nicht nur sinnlos, sondern sogar schädlich gewesen. Das Erfassen dieses Prinzips wurde durch die Aufnahme des Grundsatzes der Relativität erleichtert. Buddha bestätigte die Relativität alles Bestehenden und hob die ewige Veränderung in der Natur und die Unbeständigkeit aller Dinge im Strom unbegrenzten Seins, das immerzu nach Vervollkommnung strebt, hervor. Und wie sehr er an diesem Grundsatz der Relativität festhielt, kann folgendem Gleichnis entnommen werden:

„Nehmt an", sagte Buddha eines Tages zu seinen Anhängern, „nehmt an, ein Mensch begibt sich auf eine lange Reise und sieht sich einer großen Wasserfläche gegenüber; die näherliegende Seite birgt viele Gefahren, doch die weiter entfernte Seite ist sicher und frei von Gefahren, aber es gibt weder ein Boot noch eine zum anderen Ufer führende Brücke. Und nehmt an, dieser Mensch würde sich sagen: ,Wahrlich, da ist eine große und weite Wasserfläche, doch es gibt kein Hilfsmittel, um das andere Ufer zu erreichen. Ich könnte Schilf, Zweige und Blätter sammeln, mir daraus ein Floß machen und darauf mit Händen und Füßen der Sicherheit des anderen Ufers entgegenrudern!' Dann stellt euch vor, dieser Mensch tut, was er gesagt hat; er macht ein Floß, läßt es ins Wasser gleiten, arbeitet mit Händen und Füßen und erreicht sicher das andere Ufer."

„Und jetzt, nachdem er das gegenüberliegende Ufer erreicht hat, sagt der Mann: ,Wahrlich, dieses Floß war mir dienlich, denn auf ihm habe ich, mit Händen und Füßen arbeitend, sicher das andere Ufer erreicht. Ich meine, ich hebe es auf, setze es auf meinen Kopf oder auf meine Schultern und setze so meinen Weg fort.` "

„Was denkt ihr, Schüler? Würde der Mensch so mit seinem Floß das Richtige tun?"

 „Was sonst sollte der Mensch mit seinem Floß richtigerweise tun?" „Dann, Schüler, müßte dieser Mann zu sich sagen: ,Wahrlich, dieses Floß war mir sehr dienlich, denn auf ihm gelangte ich, mit Händen und Füßen arbeitend, sicher an das ferne Ufer. Doch ich meine, ich lasse es am Ufer und setze meine Reise fort!' So hätte dieser Mensch das Richtige mit seinem Floß getan."

„Auf die gleiche Art, Schüler, stelle ich euch meine Lehre wie ein Floß zur Verfügung, bestimmt als Mittel des Entkommens; nicht als ständigen Besitz. Versteht diesen Vergleich mit dem Floß richtig: Dharma muß hinter sich gelassen werden, wenn ihr dem Ufer Nirwanas zusteuert."

Hier sehen wir, wie unwichtig es ist, in dieser Welt der Relativität an einer Sache zu hängen – alles ist Maja. Alles, sogar die Lehre eines vollkommen Erleuchteten hat nur vorübergehenden, vergänglichen, relativen Wert.

Dieses Gleichnis unterstreicht auch die Notwendigkeit der Anstrengung mit menschlichen Händen und Füßen, da die Lehre nur wirken kann, wenn man sich persönlich anstrengt.

 

* * *

 

Buddhas Gemeinschaften waren eine Zufluchtsstätte für die verschiedenartigsten Bedürfnisse und daher aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt. Dem Milinda Panha entnehmen wir folgendes:

Einmal fragte Milinda seinen buddhistischen Lehrer Nagasena: „Was veranlaßt jemanden, sich der Gemeinschaft anzuschließen?" Der Weise antwortete, daß manche Anhänger der Gemeinschaft würden, um der Tyrannei eines Herrschers zu entfliehen; und wieder andere suchten Zuflucht, um vor Räubern sicher zu sein oder weil sie mit Schulden überladen sind; doch gäbe es auch solche, die nur ihre Versorgung gesichert wissen wollten.

Wenn sich auch einige der Gemeinschaft anschlossen, um in den Genuß sozialer und materieller Vorteile zu kommen, so waren es doch vor allem die wahren sozialen Erneuerer, die aufgrund der vielen Möglichkeiten, die die Lehre des Buddha inmitten der finsteren, feudalen Wirklichkeit dieser Zeit bot, der Gemeinschaft beitraten. Im Sutta Nipata werden das gesellschaftliche Leben und die öffentliche Moral jener Zeit streng verurteilt.

In die Gemeinschaft konnte jeder eintreten, ohne Unterschied von Rasse, Kaste und Geschlecht; die unterschiedlichsten Ansuchen und Bestrebungen nach neuen Wegen wurden in ihr befriedigt.

Buddhas Gemeinschaften waren keine Klöster, und der Eintritt bedeutete keine Einweihung. Nach den Worten des Lehrers machte allein die Verwirklichung der Lehre den Neophyten zu einem neuen Menschen und einem echten Gemeinschaftsmitglied.

In der Gemeinschaft waren alle Mitglieder völlig gleichberechtigt. Sie unterschieden sich voneinander nur durch den Zeitpunkt ihres Eintritts. Es wurde keine Auswahl nach dem Alter getroffen. Das Alter wurde außerdem nicht an grauen Haaren gemessen. Der Mensch, dessen einziger Verdienst sein Alter war, galt als „vergebens alt geworden". „Älter" ist der, aus dem Gerechtigkeit spricht, der sich zu beherrschen weiß, der weise ist.

Buddha bestand nicht darauf, daß alle in einer engen Gemeinschaft lebten. Von Anfang an gab es unter den Schülern einige, die das einsame Leben vorzogen. An jene, die sich zu sehr absonderten, richtete Buddha die Worte: „Ein einsames Leben im Walde ist nützlich für den, der es führt, aber von geringer Hilfe für das Wohl der Menschen."

Buddha wollte nicht zu viele Regeln und Verbote auferlegen. Er versuchte, Pedanterie und einheitliche Vorschriften zu vermeiden. Seine Richtlinien waren darauf bedacht, die völlige Selbständigkeit des Schülers zu schützen und zu wahren. Dem Mitglied der Gemeinschaft oblag es, Schlichtheit und Anstand zu wahren, doch da keine geistig begründeten Vorzüge in der Art der Nahrung oder der Kleidung lagen, gewährte Buddha den Schülern einen gewissen Freiraum. Angeregt durch Devadatta baten einige Schüler Buddha, strengere Regeln für die Gemeinschaft einzuführen und den Genuß von Fleisch und Fisch zu verbieten. Buddha wies ihre Bitte ab und sagte, es sei jedem freigestellt, diese Maßnahmen für sich selbst zu treffen, doch sie sollten nicht als Verpflichtung für alle gelten. Die gleiche Toleranz übte er hinsichtlich der Kleidung, denn er erachtete es als unzulässig, diese Freiheit auf ein Vorrecht für wenige zu reduzieren. Zu dem verehrten Sona sagte der Gesegnete einmal im Vertrauen auf dessen Weisheit: „Sona, du hast dich verfeinert, ich gestatte dir, besohlte Schuhe zu tragen." Sona fragte daraufhin, ob diese Erlaubnis für alle Mitglieder der Gemeinschaft gelte, was der Gesegnete sogleich bejahte.

Aus der Vinaya ersehen wir, wie der Gesegnete immer aus einer Lebensnotwendigkeit heraus für die Gemeinschaft Regelungen traf. Eine rührende Episode ist darin angeführt, die zu einer neuen Regel für die Gemeinschaft führte:

Ein Bhikshu hatte eine Darmkrankheit und lag in seinen eigenen Exkrementen auf dem Boden. Als der Gesegnete mit dem ehrwürdigen Ananda durch die Schlafräume schritt, kam er zur Zelle dieses Bhikshu und sah ihn in diesem Zustand. Er ging zu ihm und sagte: „Was ist mit dir, Bhikshu, bist du krank?"

„Ich habe Bauchschmerzen, Herr."

„Hast du niemanden, der dich pflegt, Bhikshu?"

„Nein, Herr."

„Warum pflegen dich die Bhikshus nicht?"

„Weil ich den Bhikshus nicht nützlich bin, Herr." Daraufhin sagte der Gesegnete zu dem ehrwürdigen Ananda: „Geh, Ananda, und bringe Wasser, wir wollen diesen Bhikshu baden."

„Ja, Herr", antwortete Ananda und brachte Wasser. Dann begoß der Gesegnete den Bhikshu mit Wasser, während Ananda ihn wusch. Und der Gesegnete nahm ihn beim Kopf, der ehrwürdige Ananda bei den Füßen, und sie hoben ihn auf und legten ihn auf sein Bett.

Aus diesem Anlaß und in diesem Zusammenhang berief der Gesegnete eine Versammlung ein und fragte die Bhikshus:

Bhikshus, befindet sich in dem und dem Raum ein Bhikshu, der krank ist?"

„Ja, Herr."

„Und was, Bhikshus, fehlt ihm?"

„Er hat Bauchschmerzen, Herr."

„Und pflegt ihn jemand, Bhikshus?"

„Nein, Herr."

„Aber warum pflegen ihn die Bhikshus nicht? Bhikshus, ihr habt weder Mutter noch Vater, die euch dienen. Wenn ihr Bhikshus euch nicht gegenseitig helft, wer wird euch pflegen? Jeder, der mich pflegen würde, sollte auch den Kranken pflegen."

„Wenn er einen Erzieher hat, sollte ihn sein Erzieher pflegen, bis er genesen ist, und dasselbe gilt für einen Lehrer, einen Mitschüler des gleichen Vihara oder einen Schüler, der bei seinem Lehrer wohnt. Und hat er keinen von diesen, dann sollte ihn die Gemeinschaft pflegen; und jeder, der dies nicht tut, macht sich eines Vergehens schuldig."

Der Unwillen des Lehrers, zahlreiche statische Regeln, besonders Verbote, aufzustellen und der Wunsch, die Lebendigkeit des gemeinschaftlichen Lebens zu bewahren, kommen lebhaft in seinen letzten Vermächtnissen an seinen Schüler Ananda zum Ausdruck: „Ich überlasse es der Gemeinschaft, die kleinen und unbedeutenden Regeln zu ändern."

Doch es gibt schwache Seelen, für die es leichter ist, wenn ihre Pflichten streng geregelt sind; daher stammt die Vielfalt der Vorschriften und Verbote des späteren Buddhismus. Es ist viel leichter, sich Regeln, selbst unter Zwang, zu unterwerfen, als von sich aus bewußt die Energie aufzubringen, die der Lehrer von seinen Schülern verlangte. Die Gemeinschaft wollte die Mitglieder nicht ihrer Persönlichkeit berauben, sondern sie in Freundschaft und Nähe zu einem einzigen Streben für das Allgemeinwohl vereinen. Sie wollte nicht individuelle Eigenarten auf eine Ebene bringen; im Gegenteil, Buddha schätzte jeden Beweis von Initiative, jede individuelle Äußerung, denn die Lehre sagt, daß jeder sein eigener Schöpfer und Befreier ist und persönliche Anstrengungen absolut notwendig sind, um dieses hohe Ziel zu erreichen. Denn der individuelle Ursprung trug bereits alle Möglichkeiten der Entwicklung in sich. „Vermeidet Streit, seid selbstbewußt, ohne andere auszuschließen." Dies wurde als Regel in die Gemeinschaft aufgenommen.

Der Buddhismus fürchtete individuelle Äußerungen so wenig, daß die schöpferischen Worte eines Gemeinschaftsmitglieds oft aufgegriffen und zusammen mit den Vermächtnissen des Lehrers Teil der Gründsätze wurden.

Strenge Disziplin und ständige Überwachung der Gedanken, Worte und Taten machten aus der Gemeinschaft eine Schule, in der geübt und erzogen wurde. Der Lehrer, der im Wissen das einzige Mittel sah, um sich von den irdischen Fesseln zu befreien, und der Unwissenheit als den schändlichsten Frevel bezeichnete, gebot jedem, den Weg des Wissens zu beschreiten.

Neben Unwissenheit wurde auch Oberflächlichkeit aufs heftigste verurteilt.

„Die Toren, die Unwissenden, sind sich selbst die größten Feinde, denn ihr unrechtes Handeln trägt bittere Früchte."

„Selbst wenn ein Tor sein ganzes Leben lang einen weisen Menschen begleitet, kennt er die Wahrheit genauso wenig wie der Löffel den Geschmack der Suppe."

„Lang ist die Nacht für den Wächter, lang die Meile für den Müden. Lang ist die Runde von Leben und Tod für Unwissende, die die Wahrheit nicht kennen."

Sehr oft forderte Buddha Eltern auf, ihre Kinder in allen Wissenschaften und Künsten zu unterweisen, um dadurch deren Bewußtseinswachstum zu fördern. Genauso wies er stets auf die Notwendigkeit des Reisens hin. Reisen hatte für Buddha einen sehr sinnvollen Zweck, denn es bringt den Menschen weg von gewohnten Verhältnissen, fördert seine Beweglichkeit, Findigkeit und Anpassungsfähigkeit – Eigenschaften, die unentbehrlich sind für die Erweiterung des Bewußtseins.

Die Lehre Gotamas erhebt Anspruch auf Echtheit, doch sie verfügt nicht über Dogmen, an die blind geglaubt werden muß; denn der Lehrer, der bei allem den Wert des Wissens hervorhob, sah in blindem Glauben keinen Nutzen für die Bewußtseinsentwicklung. „Daher", sagte Buddha, „lehrte ich euch, nicht zu glauben, weil ihr etwas gehört habt, sondern nur dann, wenn euer Bewußtsein es geprüft und angenommen hat."

In einem Gespräch mit einem jungen Brahmanen erläuterte Buddha, wie ein würdiger Schüler die Beherrschung der Wahrheit erlangt: „Wenn der Schüler nach reiflicher Überlegung eingesteht, daß besagter Mensch frei von der Möglichkeit des Irrtums ist, so vertraut er diesem Menschen. Er nähert sich ihm voll Vertrauen und bittet, als Schüler angenommen zu werden. Ist er sein Schüler, dann öffnet er sein Ohr und lauscht aufmerksam und gespannt der Lehre. Hat er die Lehre vernommen, bewahrt er sie in seinem Gedächtnis. Er analysiert den Sinngehalt dieser Wahrheiten und meditiert darüber. Daraus wird seine Entschlossenheit geboren, und wozu er sich entschließt, das wird er durchführen. Er weiß die Bedeutung der Tat zu schätzen. Entsprechend dieser Einschätzung setzt er alle Kräfte ein. Durch diesen Einsatz nähert er sich der Wahrheit. Wenn er in ihre Tiefen eingedrungen ist, erkennt er. Doch das alles ist nur die Erkenntnis der Wahrheit, nicht ihr Besitz. Um sie völlig zu erfassen und zu beherrschen, muß man sie anwenden, pflegen und diesen psychischen Vorgang unermüdlich wiederholen."

Aus diesem Gespräch geht klar hervor, daß es dem Schüler freistand, die ihm dargebotene Wahrheit zu untersuchen, und daß die Beherrschung der Wahrheit nur durch persönliche Anstrengung zu erreichen ist.

 

* * *

 

Die Lehre Buddhas umfaßte als eine Lehre der Wahrheit alle vorhergehenden großen Lehren, und indem sie deren Wahrheitsgehalt hervorhob, schloß sie Verleugnung aus. Dadurch, daß sie Verleugnung ablehnte, setzte sie niemanden herab. Die Erkenntnis des hohen Prinzips der Zusammenarbeit erschloß alle Wege.

In Buddhas Gemeinschaften war Ablehnung, die auf persönlichen Erkenntnissen beruhte, erlaubt, doch Verleugnung setzte man mit Unwissenheit gleich. In seinen Gemeinschaften konnte man kleinliche Überlegungen ablehnen, doch Verleugnung glich einem Rückzug aus der Gemeinschaft. Es war üblich, den, der die Gemeinschaft verlassen hatte, nie mehr zu erwähnen – die Gemeinschaft sollte für die Zukunft leben. Kehrte jedoch der Ausgeschiedene zurück, was des öfteren vorkam, dann stellte man ihm keine andere Frage als diese: „Bist du jetzt frei von Verleugnung?"

Zu Beginn befaßte sich der Schüler hauptsächlich mit der Läuterung des Herzens und des Geistes von allen Vorurteilen und schlechten Eigenschaften. Dem Fortschritt des Schülers entsprechend verlagerte sich der Schwerpunkt der Lehre auf die Bewußtseinserweiterung.

Es ist schwierig für einen Menschen aufzusteigen, ohne sich ernsthaft der Prüfung der Reinigung unterzogen zu haben. „Sobald das Tuch beschmutzt ist, wird seine Farbe häßlich und verschwommen, auch wenn der Färber es noch so oft in blaue, rote oder lila Farbe taucht – und warum? Weil der Schmutz im Tuch haftet. Ist das Herz unrein, so kann man kein anderes Ergebnis erwarten."

„Ich sage, um ein Strebender zu sein, reicht es nicht aus, ein wallendes Gewand zu tragen. Es genügt nicht, nackt zu sein, sich mit Schlamm zu bedecken, mit Wasser zu bespritzen, unter einem Baum zu sitzen, in Einsamkeit zu leben, in einer Stellung zu verharren, zu hungern, Mantras nachzusprechen und sein Haar zu flechten."

„Ein Mensch ist nicht deshalb ein Bettelmönch, weil er sich von Almosen ernährt."

„Ein Mensch ist kein Asket, nur weil er im Wald lebt."

„Wer in seiner Tat unrein und unaufrichtig ist, unwissend und ohne Selbstbeherrschung ist, der ist des gelben Gewandes nicht würdig."

Buddha sagte: „Von den drei Arten zu handeln ist nicht das Wort, nicht die Tat, sondern der Gedanke die abscheulichste. Sobald der Mensch einen üblen Beschluß faßt, ist er schon schuldig geworden, ob er die Tat ausführt oder nicht."

„Das primäre Element in allem ist der Gedanke. Der Gedanke entscheidet, der Gedanke gestaltet das Schicksal. Spricht oder handelt ein Mensch mit bösen Gedanken, dann verfolgt ihn Leid, wie das Rad des Wagens den Huf des Zugtieres. Spricht oder handelt ein Mensch mit reinen Gedanken, so folgt ihm das Glück und bleibt ihm treu wie sein Schatten."

„Der Feind handelt böse gegenüber dem Feind, der Hassende gegenüber dem Hassenden, doch noch schlechter ist das Übel, das ein falsch gelenkter Geist hervorbringt." Der Lehrer betonte besonders oft die Notwendigkeit, seine Gedanken zu überwachen, denn wenn die Wachsamkeit des Schülers, der sich seiner bereits erzielten Erfolge zu sicher ist, nachläßt, wird er dieses Versäumnis teuer bezahlen. Dieser Rat wurde in einem Gleichnis gegeben: „Ein Mann wurde durch einen vergifteten Pfeil verwundet. Der Arzt, der den Pfeil entfernt hatte, riet dem Verwundeten, die Wunde aufmerksam zu beobachten; aber der Patient meinte, er hätte nichts mehr zu befürchten. Durch Unachtsamkeit entzündete sich die Wunde, und der Mann starb unter heftigen Schmerzen."

„Wachsamkeit ist der Pfad zur Unsterblichkeit. Nachlässigkeit führt zum Tod. Die Wachsamen sterben nicht. Die Nachlässigen gleichen den Toten."

„Jenen, die im Denken unbeständig sind, das wahre Gesetz nicht kennen oder deren Vertrauen schwankt, wird nie die volle Weisheit zuteil."

„So wie ein Pfeilemacher seine Pfeile geradebiegt, so arbeitet ein weiser Mensch an seinem Wankelmut und seinem unbeständigen Geist, der schwer zu hüten und zu führen ist."

„So wie in ein schlecht gedecktes Haus Regen tropft, so sickert Begehren in einen schlecht beherrschten Geist."

„Die großen und kleinen Fesseln eines Bhikshu, der Freude hat an Wachsamkeit und Nachlässigkeit fürchtet, werden alle verbrannt. Er schreitet fort wie Feuer."

Um auf die Torheit, niederen Regungen nachzugeben, hinzuweisen, sagte Buddha in bezug auf deren Nützlichkeit: „Das Gefühl, um dessentwillen ihr euch erniedrigt, wird für euch bald nur mehr eine Erinnerung sein, wie ein im Traum erlebtes Vergnügen. Was aber als stets lebendiger Vorwurf zurückbleibt ist die wegen dieses Vergnügens ausgeführte Tat."

 

„Tugendhaftigkeit ist wie ein aufgeblähter Lederbeutel – beschädigt man ihn einmal, so ist er zerstört. Ebenso ist es, wenn man nur einmal lasterhaften Neigungen nachgibt; nichts kann dann den Ausbruch der Leidenschaften hemmen. Und ein sich selbst überlassener Mensch wird unweigerlich zugrunde gehen."

 Bewässerer lenken das Wasser, wohin sie wollen; Pfeilemacher formen den Pfeil; Zimmerleute bearbeiten das Holz nach ihrem Willen; der Weise biegt sich selbst."

Aus den Schriften geht hervor, daß zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft kein Unterschied gemacht wurde – gesellschaftlich Etablierte, Verheiratete und Alleinstehende, Männer und Frauen – alle können die ihnen vermittelte Wahrheit in gleicher Weise empfangen.

Der Eintritt in die Gemeinschaft war nicht mit einem Gelübde verbunden. Wer kam, brachte nur die Bereitschaft mit, der Lehre zu dienen. Doch hörte diese Bereitschaft auf, so verpflichtete ihn nichts, in der Gemeinschaft zu bleiben. Der Austritt war ebenso einfach wie der Eintritt. Es gab zahlreiche Fälle, daß jemand die Gemeinschaft verließ und später wiederkehrte.

Man darf ein Mitglied nicht allein deshalb aus der Gemeinschaft ausschließen, weil man kein Verständnis für sein Handeln aufbringt. Diesen Menschen auszuschließen würde bedeuten, einen Schwall heftiger Worte und Uneinigkeit in der Gemeinschaft freizusetzen. „Ein Gemeinschaftsmitglied wird etwas, was es vernahm, nicht auf eine Art wiedergeben, die andere entzweit, sondern die sie einander näherbringt und dabei nur friedvolle Worte verwenden."

„Nie ist Haß durch Haß bezwungen worden; allein Güte setzt ihm ein Ende, so ist das ewige Gesetz."

„Er beschimpfte mich, er mißbrauchte mich, er überwältigte mich, er beraubte mich; in wem solche Gedanken wohnen, wird der Ärger nie gestillt."

Befaßt sich ein Mensch mit den Fehlern anderer und neigt er immer dazu, beleidigt zu sein, dann werden seine eigenen Leidenschaften wachsen, und er ist weit davon entfernt, sie unschädlich zu machen."

„Es gibt manche, die die Notwendigkeit der Selbstbeherrschung nicht begreifen; sind sie streitsüchtig, so wollen wir ihr Benehmen entschuldigen. Doch jene, die mehr wissen, sollten lernen, in Eintracht miteinander zu leben."

„Findet ein Mensch einen weisen Freund, der rechtschaffen lebt und einen gefestigten Charakter hat, so kann er mit ihm leben und wird alle Gefahren überstehen, glücklich und wachsam. Aber – mit Toren gibt es keine Freundschaft. Bevor man mit Menschen lebt, die selbstsüchtig, eitel, streitsüchtig und eigensinnig sind, sollte man seinen Weg lieber alleine gehen."

 

Da Buddha in allen Dingen auf Zweckmäßigkeit bedacht war, strebte er nicht danach, seine Lehre zu systematisieren. Er wollte, daß jeder Punkt der Lehre so stark wie möglich auf den Willen seiner Schüler einwirkt. Da sein einziges Ziel das Wachstum und die Entwicklung des Bewußtseins war, gestattete er in allem übrigen Gedanken- und Handlungsfreiheit. Buddha forderte individuelle Disziplin von jedem einzelnen.

„Wie wählte Buddha seine Schüler für die große Aufgabe aus? Wenn während der Arbeit bereits Müdigkeit von den Schülern Besitz ergriffen hatte, stellte Buddha die unerwartetsten Fragen und erwartete eine unverzügliche Antwort.

Oder er stellte den einfachsten Gegenstand vor sie hin und gab ihnen auf, ihn mit nicht mehr als drei Worten oder nicht weniger als einhundert Seiten zu beschreiben. Oder er stellte einen Schüler vor eine verschlossene Tür und fragte: ,Wie wirst du sie öffnen?'

Oder er bestellte Musiker und ließ sie unter dem Fenster Lieder mit völlig verschiedenen Inhalten spielen.

Oder er ging an den Schülern vorbei und fragte, wie oft er bei ihnen vorbeigekommen sei.

Oder wenn er bemerkte, daß eine Fliege einen Schüler belästigte, so ließ er ihn unerwartet ausgesprochene Worte wiederholen.

Wenn er bei einem Schüler Furcht vor Tieren oder Naturphänomenen bemerkte, so verlangte er, dagegen anzukämpfen.

So stählte der machtvolle Löwe die Klinge des Geistes." (Nach einer mündlichen Überlieferung des Hindu-Buddhismus)

In Augenblicken der Rast bevorzugte Buddha mit seinen Schülern einen geistvollen Zeitvertreib. Er stellte ein Wort in den Raum, das die Schüler zu einem vollständigen Gedanken ausbauten. Es gibt keine weisere Prüfung für den Zustand des Bewußtseins.

Buddha formte seine Schüler durch wahres Wissen und die bleibende Erkenntnis des Wandels aller Dinge, wappnete sie mit Mut, Geduld und Mitgefühl und erzog sie zu wahren Kämpfern für das Allgemeinwohl.

Besonders zahlreich sind in den alten Schriften Beispiele für die völlige Verachtung dessen, was das Leben leicht und im herkömmlichen Sinn angenehm macht. Aus dem Verzicht auf alles Persönliche entsteht das Gefühl wahrer Freiheit; aus Freiheit wird Freude geboren, aus Freude Befriedigung – und aus Befriedigung das Gefühl der Ruhe und Glückseligkeit.

Buddha fand den Weg zu den Herzen der Menschen nicht durch Wunder, sondern indem er sie anhand praktischer Beispiele lehrte, das Alltagsleben zu vervollkommnen, und durch sein persönliches Beispiel der wahren Zusammenarbeit.

Seine Toleranz und sein Wunsch nach enger Zusammenarbeit mit den Menschen waren so groß, daß er nie ihre Bräuche oder ihren Glauben abwertete. „Ehre deinen Glauben und verurteile nie den Glauben anderer." In allen Fragen beschäftigte er sich nicht mit den äußeren Formen, sondern versuchte nur, ihre tiefere Bedeutung verständlich zu machen, indem er sie von einem neuen Standpunkt aus erklärte.

„Während der Gesegnete in einem Bambushain bei Rajagriha weilte, traf er Srigala, einen Hausherrn, der seine Hände faltete und sich den vier Himmelsrichtungen, dem Zenit oben und dem Nadir unten zuwandte. Und der Gesegnete, der wußte, daß dies dem überlieferten religiösen Aberglauben entsprach, um das Böse abzuwenden, fragte Srigala: ,Warum vollziehst du diese seltsamen Zeremonien?'

Srigala antwortete: , Hältst Du es für eigenartig, daß ich mein Heim vor Dämonen schütze? Ich weiß, daß Du, Gotama Sakyamuni, den die Leute den Tathagata und den Gesegneten Buddha nennen, mir gerne sagen willst, daß Beschwörungen nicht von Nutzen sind und keine rettende Kraft besitzen. Doch höre mich an und wisse, daß ich, indem ich diesen Ritus durchführe, die Worte meines Vaters ehre, achte und heilig halte.'

Dann sagte der Tathagata: ,Es ist richtig von dir, Srigala, die Worte deines Vaters zu achten, zu ehren und heilig zu halten; auch ist es deine Pflicht, dein Heim, dein Weib, deine Kinder und Kindeskinder vor dem schädlichen Einfluß böser Geister zu bewahren. Ich sehe in der Vollziehung des Ritus deines Vaters kein Unrecht. Doch bemerke ich, daß du die Zeremonie nicht verstehst. Laß den Tathagata, der jetzt als geistiger Vater zu dir spricht und dich nicht weniger liebt, als deine Eltern es taten, dir die Bedeutung der sechs Richtungen erklären:

Es reicht nicht aus, dein Heim durch geheimnisvolle Zeremonien zu schützen; du mußt es durch gute Taten schützen. Wende dich an deine Eltern im Osten, an deine Lehrer im Süden, an dein Weib und die Kinder im Westen, an deine Freunde im Norden und ordne den Zenith deiner religiösen Beziehungen über dir wie auch den Nadir deiner Diener unter dir.

Dies ist die Religion, die dein Vater von dir erwartet, und die Ausführung der Zeremonie wird dich an deine Pflichten erinnern.'

Und Srigala schaute voll Ehrfurcht zu dem Gesegneten wie zu einem Vater auf und sagte: ,Wahrlich, Gotama, Du bist der Buddha, der Gesegnete, der heilige Lehrer. Ich wußte nie, was ich tat, doch jetzt weiß ich es. Du hast mir die verborgene Wahrheit enthüllt, wie einer, der ein Licht in die Finsternis bringt. Ich nehme Zuflucht zum Erleuchteten Lehrer, zur Wahrheit, die erleuchtet, und zur Gemeinschaft der Brüder, die die Wahrheit gefunden haben.'"

Vom Beginn seiner Tätigkeit an war Buddha der Ansicht, daß ein zur rechten Zeit und am rechten Ort gesprochenes Wort überzeugender ist als ein Wunder, das nur eine psychische Wirkung auf den Menschen und seine Entwicklung ausübt. Er befahl seinen Schülern ausdrücklich, ihre erworbenen „wunderbaren" Kräfte nicht vor denen zu offenbaren, die mit den Prinzipien, die solchen Kräften innewohnen, nicht vertraut waren. Außerdem sind derartige Manifestationen für den Ausführenden selbst schädlich, weil sie ihn über die Umgebung erheben und Eitelkeit in ihm wecken.

Ein guter Schüler darf sich nicht mit übermenschlicher Vollkommenheit brüsten. Ein Schüler, der in übler Absicht und aus Habsucht mit übermenschlichen Fähigkeiten prahlt, seien es himmlische Visionen oder Wunder, ist nicht länger ein Schüler des Sakyamuni. „Ich verbiete euch, oh Bhikshus, irgendwelche Zaubersprüche oder Bittgebete zu verwenden, denn sie sind nutzlos, da in allem das Karmagesetz gilt. Wer versucht, Wunder zu vollbringen, hat die Lehre des Tathagata nicht verstanden."

Das Wort und die Überzeugungskraft waren die einzigen Mittel, mit denen der Lehrer auf die Menschen einwirkte. Nirgendwo finden wir Ärger oder Unwillen, immer nur die klare Bestätigung der Wahrheit. „Der Gesegnete ist vollkommen in der Handhabung seiner Sprache", sagte der Schüler Sariputra.

„So wie die Erde ohne Kummer oder Vergnügen alle auf sie geworfenen, reinen und unreinen Dinge geduldig erträgt, so erträgt auch Buddha ungerührt sowohl die Verehrung als auch die Mißachtung der Menschen. Und wie das Wasser Gerechte und Ungerechte ohne Unterschied reinigt und erfrischt, so gewährt Buddha Freunden wie Feinden sein Mitgefühl."

Zahlreich waren die Gespräche Buddhas mit seinen Hörern über das, was sie unmittelbar berührte, sowie über ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Familien und dem Allgemeinwohl. Sein großes Verdienst lag darin, daß er, indem er die Pflicht des Menschen vom Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit für das Leben betrachtete, versuchte, das Leben in der Praxis mit feinen und erhabenen Gefühlen zu bereichern, was ihn von anderen Lehrern unterschied.

Diese lebendige, praxisnahe Seite der Lehre kommt in der Antwort des Buddha an Anathapindika wunderbar zum Ausdruck. Anathapindika war ein Mann mit unschätzbarem Reichtum, den man „Helfer der Waisen und Freund der Armen" nannte und der kam, um Buddha um Rat zu fragen.

Als Anathapindika vernahm, daß Buddha sich im Bambus-Hain bei Rajagriha aufhielt, begab er sich noch in derselben Nacht auf die Reise, um den Gesegneten aufzusuchen. Und der Gesegnete erkannte sogleich das reine Herz Anathapindikas und grüßte ihn mit ermunternden Worten.

Anathapindika sagte: „Ich sehe, Du bist der Buddha, der Gesegnete, und ich möchte Dir mein Innerstes öffnen. Nachdem Du meinen Worten gelauscht hast, rate mir, was ich tun soll. Mein Leben ist ausgefüllt mit Arbeit, und da ich großen Reichtum erworben habe, bin ich von Sorgen umgeben. Doch meine Arbeit erfreut mich, und ich widme mich ihr mit großem Fleiß. Ich beschäftige viele Menschen, die vom Erfolg meiner Unternehmen abhängig sind.

Nun hörte ich, daß Deine Schüler den Segen des Einsiedlers preisen und die Rastlosigkeit der Welt verurteilen. ,Der Heilige', sagen sie, ,hat sein Königreich und sein Erbe aufgegeben und fand den Pfad der Rechtschaffenheit; so gibt er der Welt ein Beispiel, wie Nirwana erreicht werden kann.'

Mein Herz dürstet danach, das Richtige zu tun und ein Segen für meine Mitmenschen zu sein. Daher möchte ich Dich fragen, ob ich meinen Wohlstand, mein Heim und meine Geschäftsunternehmen aufgeben und wie Du die Heimatlosigkeit wählen muß, um den Segen eines rechtschaffenen Lebens zu erlangen?"

Und Buddha antwortete: „Der Segen der Rechtschaffenheit ist für jeden, der auf dem edlen achtfachen Pfad wandelt, erreichbar. Wer am Wohlstand hängt, täte besser daran, alles wegzugeben, als zuzulassen, daß sein Herz dadurch vergiftet wird; aber wer nicht am Wohlstand hängt und seine Reichtümer richtig verwendet, wird für seine Mitmenschen ein Segen sein.

Ich sage dir, bleibe bei deinem Leben und widme dich mit Fleiß deinen Unternehmen. Es ist nicht das Leben, der Wohlstand oder die Macht an sich, was den Menschen versklavt, sondern daß er am Leben, am Wohlstand und an der Macht hängt.

Der Bhikshu, der die Welt verläßt, um ein müßiges Leben zu führen, zieht keinen Nutzen aus seiner Entscheidung. Denn ein Leben in Trägheit ist zu verabscheuen und Energiemangel zu verachten. Das Dharma des Tathagata fordert von keinem Menschen, daß er sein Heim verläßt oder der Welt entsagt, wenn er sich nicht dazu berufen fühlt; aber das Dharma des Tathagata verlangt von jedem Menschen, sich von der Illusion des Selbst zu befreien, sein Herz zu läutern, den Hunger nach Vergnügen zu bezwingen und ein rechtschaffenes Leben zu führen.

Und was immer die Menschen tun, ob sie als Handwerker, Kaufleute oder Offiziere des Königs sie sollten fleißig und tatkräftig sein. Und wenn sie wie der Lotos sind, der im Wasser wächst, aber vom Wasser unberührt bleibt; wenn sie im Leben kämpfen, ohne Neid und Haß zu empfinden; wenn sie in der Welt ein Leben für die Wahrheit und nicht für sich selbst führen – wahrlich, dann werden Freude, Frieden und Segen in ihren Herzen wohnen."

Genauso lebensnah und sinnvoll sind die schönen Antworten des Gesegneten auf die Fragen Simhas, des Kriegers.

Zu jener Zeit hatten sich viele anerkannte Bürger in der Stadthalle versammelt und priesen Buddha, das Dharma und die Gemeinschaft (Sangha) in jeder Beziehung. Unter ihnen befand sich Simha, ein führender General und Anhänger der Niggantha-Sekte. Und Simha dachte: „Wahrlich, der Gesegnete muß der Buddha sein, der Heilige. Ich werde ihn aufsuchen."

Dann begab sich Simha, der General, zu Nataputta, dem Führer der Niggantha-Sekte, trat auf ihn zu und sagte: „Herr, ich möchte den Samana Gotama aufsuchen."

Nataputta sagte: „Warum solltest du, Simha, der an die Wirkung von Taten entsprechend ihrem sittlichen Verdienst glaubt, den Samana Gotama aufsuchen, der den Erfolg der Tat verneint? Der Samana Gotama, Simha, verneint die Sinnhaftigkeit des Tuns, er lehrt die Doktrin der Untätigkeit, und in dieser Lehre erzieht er seine Schüler."

Daraufhin ließ in Simha das Bedürfnis, den Gesegneten aufzusuchen, nach. Als er dann aber erneut das Lob über Buddha, das Dharma und die Gemeinschaft vernahm, fragte Simha den Niggantha-Führer ein zweites Mal, und wieder überredete ihn Nataputta, nicht zu Buddha zu gehen.

Doch als der General zum dritten Mal hörte, wie einige außergewöhnliche Männer die Verdienste des Buddha, das Dharma und die Gemeinschaft lobten, dachte er: „Wahrlich, der Samana Gotama muß der heilige Buddha sein. Was bedeuten mir die Nigganthas! Ob sie ihre Einwilligung geben oder nicht, ich werde sie nicht um Erlaubnis fragen und den Gesegneten, den Heiligen Buddha, aufsuchen."

Und Simha, der General, sagte zu dem Gesegneten: „Ich hörte, Herr, daß der Samana Gotama den Erfolg des Handelns leugnet, die Doktrin der Untätigkeit lehrt und verkündet, daß die Taten empfindender Wesen nicht ihre Belohnung erfahren, denn er lehrt Vernichtung und Verachtung aller Dinge; und in dieser Lehre erzieht er seine Schüler. – Lehrst Du, sich von der Seele abzuwenden und das Wesen des Menschen abzulegen? Sage mir, o Herr, ob jene, die so etwas sagen, die Wahrheit sprechen, oder erzählen sie wider besseres Wissen Lügen über den Gesegneten, indem sie ein falsches Dharma als das Deinige ausgeben?"

Der Gesegnete sagte: „Einerseits, Simha, sagt der, der so über mich spricht, die Wahrheit; andererseits, Simha, spricht der, der das Gegenteil sagt, ebenfalls die Wahrheit. Höre nun, was ich dir zu sagen habe:

Ich lehre, Simha, unrechte Handlungen durch Taten, Worte oder Gedanken zu unterlassen; ich lehre, jene Herzensregungen nicht zuzulassen, die böse sind. Ich lehre jedoch, Simha, die rechtschaffene Tätigkeit durch Taten, Worte und Gedanken; ich lehre das Schaffen von Herzensregungen, die gut und nicht böse sind.

Ich lehre, Simha, daß alle Herzensregungen, die böse und daher nicht gut sind, und unrechtes Handeln durch Taten, Worte und Gedanken ausgemerzt werden müssen. Wer sich selbst von all diesen Gemütsregungen, die schlecht sind, befreit, wer sie wie einen Baum mit der Wurzel ausreißt, so daß sie künftig nicht mehr keimen können – so ein Mensch hat sein Selbst vernichtet.

Ich lehre, Simha, die Vernichtung des Egoismus, der Lust, des bösen Willens, der Täuschung. Aber ich lehre nicht die Vernichtung von Liebe, Geduld, Güte und Wahrheit.

Ich verachte unrechtes Handeln, Simha, ob es durch Taten, Worte oder Gedanken ausgeführt wird, doch ich halte Tugend und Rechtschaffenheit für lobenswert."

Und Simha sagte: „Eine Unklarheit betreffend die Lehre des Gesegneten verbirgt sich noch in mir. Würde sich der Gesegnete dazu bereit erklären, diese Wolke zu vertreiben, damit ich dann das Dharma so verstehen kann, wie es der Gesegnete lehrt?"

Der Tathagata willigte ein, und Simha fuhr fort: „Ich bin ein Soldat, Gesegneter, mir wurde vom König befohlen, seine Gesetze zu verteidigen und seine Kriege zu führen. Gestattet der Tathagata, der unendliche Güte und Mitgefühl für alle Leidenden lehrt, die Bestrafung des Verbrechens? Meint der Tathagata darüber hinaus, daß es unrecht ist, zum Schutze unserer Heime, Frauen und Kinder sowie unseres Besitzes in den Krieg zu ziehen? Lehrt der Tathagata die Doktrin völliger Unterwerfung, so daß ich dem Übeltäter zu tun gewähre, was ihm beliebt, und mich gehorsam dem ergebe, der droht, gewaltsam zu nehmen, was mir gehört? Behauptet der Tathagata, daß jeder Kampf einschließlich der Kriegsführung für eine gerechte Sache verboten werden sollte?"

Buddha antwortete: „Wer Strafe verdient, muß bestraft werden, und wer der Gunst würdig ist, muß auch Gunst erfahren. Doch gleichzeitig lehrt der Tathagata, kein Lebewesen zu verletzen, sondern von Liebe und Güte erfüllt zu sein. Diese Aussagen widersprechen einander nicht, denn jeder, der für die von ihm verübten Verbrechen bestraft wird, erleidet seine Strafe nicht durch den bösen Willen des Richters, sondern aufgrund seiner bösen Tat. Sein eigenes Handeln brachte ihm jene Strafe ein, die der Vollstrecker des Gesetzes ihm auferlegt. Wenn ein Beamter eine Strafe vollzieht, sollte er in seiner Brust keinen Haß fühlen, doch ein Mörder, der zum Tode verurteilt wird, sollte bedenken, daß dies die Folge seiner eigenen Tat ist. Sobald er versteht, daß die Bestrafung seine Seele reinigt, wird er über sein Schicksal nicht länger klagen, sondern sich darüber freuen."

Und der Gesegnete fuhr fort: „Der Tathagata lehrt, daß jeder Krieg, in dem der Mensch versucht, seinen Bruder zu töten, beklagenswert ist, doch er lehrt nicht, daß jene, die aus einem gerechtfertigten Grund in den Krieg ziehen, nachdem sie alles versucht haben, um den Frieden zu erhalten, tadelnswert sind. Schuld ist jener, der die Ursache des Krieges ist.

Der Tathagata lehrt die völlige Aufgabe des Selbst, doch er lehrt nicht, sich irgendwelchen bösen Kräften zu ergeben, seien es Menschen, Götzen oder die Naturelemente. Kampf muß sein, denn das ganze Leben ist ein Kampf eigener Art.

Doch wer kämpft, sollte darauf achten, daß er nicht aus Selbstsucht gegen Wahrheit und Rechtschaffenheit kämpft. Wer für sich selbst kämpft, damit er einflußreich, mächtig, reich oder berühmt wird, wird keinen Lohn erhalten, doch wer für Rechtschaffenheit und Wahrheit kämpft, wird reichen Lohn ernten, denn sogar seine Niederlage wird ein Sieg sein.

Das Selbst ist kein geeignetes Gefäß, um großen Erfolg aufzunehmen; das Selbst ist klein und brüchig, und sein Inhalt ist bald verschüttet für das Wohl, vielleicht auch für das Elend anderer.

Aber die Wahrheit ist groß genug, um die Sehnsucht und das Streben jedes Selbst aufzunehmen, und wenn das Selbst wie eine Seifenblase zerplatzt, bleibt sein Inhalt bewahrt und wird in der Wahrheit ein ewiges Leben führen.

Wer in den Krieg zieht, oh Simha, muß, selbst wenn er für eine gute Sache kämpft, bereit sein, durch seine Feinde getötet zu werden, denn das ist des Kriegers Los. Und sollte ihn dieses Schicksal treffen, so hat er keinen Grund zu klagen.

Doch wer siegreich ist, sollte an die Vergänglichkeit irdischer Dinge denken. Mag sein Erfolg noch so groß sein, das Rad des Glücks kann sich wieder drehen und ihn in den Staub ziehen.

Wer sich aber mäßigt, den Haß aus seinem Herzen löscht, seinen unterdrückten Gegnererhöht und zu ihm sagt: ,Komm, jetzt wollen wir Frieden schließen und Brüder sein', wird einen Sieg erringen, der kein vorübergehender Erfolg ist, denn seine Früchte sind von Dauer.

Groß ist ein erfolgreicher General, oh Simha, doch wer sich selbst besiegt, ist der größte Sieger. Die Lehre vom Sieg über sich selbst, oh Simha, wird nicht gelehrt, um des Menschen Seele zu vernichten, sondern um sie zu bewahren. Wer sich selbst besiegt hat, kann besser leben, erfolgreich sein und Siege erringen als der Sklave seines Selbst.

Derjenige, dessen Gemüt frei ist von der Täuschung durch das Selbst, wird im Lebenskampf bestehen und nicht untergehen.

Wer gute und rechtschaffene Absichten hat, dem wird kein Mißgeschick widerfahren, seine Taten werden erfolgreich sein, und der Erfolg wird anhalten.

Wer in seinem Herzen die Wahrheit liebt, wird leben und nicht sterben, denn er hat das Wasser der Unsterblichkeit getrunken.

Kämpfe mutig, General, und sei bei deinen Schlachten siegreich, doch sei ein Soldat der Wahrheit, und der Tathagata wird dich segnen."

Als der Gesegnete das gesagt hatte, sprach Simha, der General: „Ruhmreicher Herr, ruhmreicher Herr! Du hast die Wahrheit enthüllt. Groß ist die Lehre des Gesegneten. Du bist tatsächlich der Buddha, der Tathagata, der Heilige. Du bist der Lehrer der Menschheit. Du zeigst uns den Weg des Heils, denn das ist wirklich wahre Befreiung. Wer Dir folgt, wird das Licht finden, um seinen Weg zu erleuchten. Er wird Seligkeit und Frieden finden. Ich nehme Zuflucht, oh Herr, bei dem Gesegneten, bei seiner Lehre und seiner Bruderschaft. Möge mich der Gesegnete von diesem Tag an bis an mein Lebensende als seinen Schüler betrachten, der zu ihm Zuflucht nahm."

Und der Gesegnete sagte: „Bedenke zuerst, Simha, was du tust. Personen von Rang wie du sollten nichts ohne nähere Überlegung tun."

Simhas Vertrauen zum Gesegneten wurde immer stärker. Er antwortete: „Wäre es anderen Lehrern gelungen, Herr, mich zu ihrem Schüler zu machen, sie trügen ihr Banner durch die ganze Stadt von Vesali und würden rufen: ,Simha, der General, ist mein Schüler geworden!' Zum zweiten Mal, Herr, nehme ich Zuflucht zum Gesegneten, seinem Dharma, zur Gemeinschaft; möge der Gesegnete mich zeit meines Lebens als Schüler annehmen, der zu ihm Zuflucht nahm."

Der Gesegnete sagte: „Seit langer Zeit, Simha, sind die Nigganthas in deinem Haus bewirtet worden. Daher solltest du ihnen auch in Zukunft Nahrung geben, wenn sie zu dir kommen, um Almosen zu erhalten."

Und Simhas Herz wurde von Freude erfüllt. Er sprach: „Man sagte mir, Herr: ,Der Samana Gotama sagt: Mir allein und keinem anderen dürfen Geschenke dargebracht werden. Meine Schüler allein und keine anderen dürfen Almosen erhalten.' Aber der Gesegnete redet mir zu, auch den Nigganthas etwas zu geben. Jawohl, Herr, wir werden sehen, was angebracht ist. Zum dritten Mal, oh Herr, nehme ich Zuflucht zum Gesegneten, zu seinem Dharma und seiner Bruderschaft."

In allen Dingen wurde Buddha von zielgerechten Überlegungen beeinflußt.

„Welche Belohnung könnte euch der Himmel bieten? Ihr müßt Sieger sein in dieser Welt, unter den Umständen, in denen ihr euch jetzt befindet."

Einmal versuchte ein Streitsüchtiger, Buddha zu verwirren, indem er ihn mit widersprüchlichen Fragen überhäufte. Buddha hörte auf, ihm Aufmerksamkeit zu schenken, und sagte zu der ihn umgebenden Menge: „Dieser Mann will nicht das, was er sieht. Er sucht, was er nicht sieht. Er wird lange vergeblich suchen. Er ist mit dem, was er um sich herum sieht, nicht zufrieden, und seine Wünsche sind unbegrenzt. Ich beglückwünsche jene, die der Begierde entsagt haben."

Buddhas Lehre bestätigte sich als Lehre des Lebens, weil die Tatsache, daß eine hochstehende und zielführende Lehre sogar ins Alltagsleben eindrang, eine neue Ära im Leben der Menschheit einleitete. Die alten Verbote und Verneinungen wurden durch eine positive und praktische Lehre ersetzt, und als Folge wurde die Moral der Menschen auf eine höhere Ebene gehoben.

 

* * *

 

Buddha forderte, sich alles Negativen zu enthalten und mit voller Tatkraft das Positive und Schöne zu fördern.

Selbstmord wurde von Buddha besonders verurteilt, wie die Vernichtung jedes Lebens. „Alle zittern, wenn sie mit der Strafe konfrontiert werden, alle fürchten den Tod; wenn du selbst andere beurteilst, vernichte sie nicht und verursache keine Vernichtung."

„Der Bhikshu unterläßt alles, was Leben zerstört; er tötet kein lebendes Geschöpf. Er legt den Knüppel und das Schwert beiseite und ist sanft und barmherzig, gütig und mitfühlend gegenüber jedem Lebewesen."

 

* * *

 

Es war verboten, Alkohol zu trinken oder andere betrunken zu machen; denn Trunkenheit führt zu Niedergang, Verbrechen, Wahnsinn und Unwissenheit – die Hauptursachen für ein erneutes und beschwerdereiches Leben. Auch die Notwendigkeit vollkommener Keuschheit zur Erreichung voller geistiger Entwicklung wurde hervorgehoben. Doch eine Ehefrau zu haben und ihr treu zu sein wurde als eine Form der Keuschheit betrachtet. Polygamie wurde von Gotama Buddha streng verurteilt, weil sie durch Unwissenheit entsteht.

Die Lehre von der Heiligkeit der Ehe hat der Gesegnete sehr schön durch das Gleichnis „Das Hochzeitsfest in Jambunada" veranschaulicht.

„Das höchste Glück für einen sterblichen Menschen ist das Band der Ehe, das zwei liebende Herzen verbindet. Doch es gibt noch eine größere Glückseligkeit: das Erfassen der Wahrheit. Der Tod trennt den Ehegatten von seinem Weibe, doch der Tod wird den nicht erschüttern, der sich mit der Wahrheit vermählt hat.

Seid daher mit der Wahrheit vermählt und lebt mit der Wahrheit in heiliger Ehe. Der Ehegatte, der sein Weib liebt und eine immerwährende Verbindung wünscht, muß ihr treu sein, so wie die Wahrheit selbst; und sie wird sich auf ihn verlassen, ihn achten und ihm dienen. Und das Weib, das seinen Ehegatten liebt und eine immerwährende Verbindung wünscht, muß ihm treu sein, so wie die Wahrheit selbst; und er wird sein Vertrauen in sie setzen, sie ehren und für sie sorgen. Wahrlich, ich sage euch, ihre Ehe wird heilig und segensreich sein, ihre Kinder werden wie ihre Eltern sein und von ihrem Glück Zeugnis geben.

Möge kein Mensch unvermählt sein, möge jeder in heiliger Liebe mit der Wahrheit vermählt sein. Und wenn Mara, der Zerstörer, erscheint, um eurem Sein die sichtbare Form zu nehmen, werdet ihr fortfahren, in der Wahrheit zu leben, und ihr werdet teilhaben am ewigen Leben, weil die Wahrheit unsterblich ist."

Die Lehre Buddhas hat zur Befreiung der Frau und zu ihrem Glück mehr als jede andere Lehre in Indien beigetragen. „Die Frau", sagte Gotama, „kann wie der Mann die höchste Stufe des Wissens erreichen – sie kann ein Archat (eine Tara) werden. Freiheit, die sich jenseits von Formen befindet, kann nicht vom Geschlecht abhängen, das der Welt der Formen angehört." Die Frauen spielten eine wichtige Rolle in der Gemeinschaft, und viele hoben sich durch ihr Wissen und Streben hervor.

Wir zitieren die Antwort Buddhas auf die Frage der Schülerin Soma: „Wie kann dieser Zustand, der für den Weisen schwer erreichbar ist, von einer Frau mit ihrem beschränkten Geist erreicht werden?" – „Wenn das Herz ruhig ist, wenn sich das Bewußtsein entfaltet, dann erkennt man die Wahrheit. Doch wenn jemand denkt, ich bin eine Frau oder ich bin ein Mann oder ich bin dies oder jenes, wird er Mara anheimfallen.

Die Tore der Unsterblichkeit stehen allen Wesen offen. Wer Ohren hat, soll sich nähern, er möge die Lehre hören und Vertrauen haben."

 

* * *

 

Buddha zeigte die Absurdität des Vorurteils auf, das Worten mehr Gewicht beimißt, weil sie von einer steigenden Anzahl von Gelehrten ständig wiederholt werden. Ein wahrer Gelehrter ist, wer die Vollkommenheit der Erkenntnis erlangt hat, nicht aber, wer die zuvor abgelehnten Lehrsätze dauernd vor sich hinmurmelt.

„Ich sage zu meinen Schülern: ,Dort ist Nirwana, hier ist der Pfad dorthin.' Von denen, die ich unterrichte, erreichen einige das Ziel, andere nicht. Was kann ich tun? Der Gesegnete weist nur den Weg."

„Niemand kann seinen Nächsten erlösen. Das von einem Menschen verübte Böse befleckt nur ihn selbst. Das Böse, das er nicht tut, betrifft nur ihn allein. Jeder ist nur vor sich selbst rein oder unrein. Niemand kann einen anderen läutern."

Läuterung kann man nur durch einen inneren Prozeß und Arbeit an sich selbst erlangen. Daher verneinte Buddha jede angeblich in Formeln vorhandene Kraft, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, „wie ein von Hand zu Hand gereichter Korb".

 

* * *

 

Buddha, der den herkömmlichen Gottesbegriff ablehnte und die Möglichkeit gänzlicher Befreiung durch persönliche Anstrengung und unablässige Arbeit an sich selbst bestätigte, zeigte schon dadurch die Unsinnigkeit äußerer Verehrung auf. Von Anfang an mißbilligte er alle Riten und andere rein äußerliche Handlungen, die nur einen Rückfall in geistige Blindheit und ein Hängenbleiben an leblosen Formen bedeuten. Nirgendwo in seiner Lehre gibt es auch nur den geringsten Hinweis auf persönliche Verehrung. Er sagte: „Die Lehre ist Heil – nicht weil sie von Buddha vermittelt wurde, sondern weil sie befreit. Der Schüler, der mir folgt und sich an den Saum meines Gewandes klammert, ist weit weg von mir und ich von ihm. Warum? Weil dieser Schüler mich nicht sieht. Ein anderer mag hundert Meilen von mir entfernt leben und mir trotzdem nahe sein und ich ihm. Warum? Weil dieser Schüler die Lehre versteht; indem er aber die Lehre versteht, versteht er mich."

„Wenn ihr die Wahrheit verstehen und sie, wie sie ist, aufnehmen könntet, würdet ihr da sagen: ,Wir schulden unserem Lehrer Achtung, und aufgrund dieser Achtung für ihn sollten wir so sprechen wie der Lehrer?' "

„Nein, Gesegneter."

„Was du bestätigst, ist doch das, was du erkannt und verstanden hast?"

„So ist es, Gesegneter."

Die Zukunft voraussehend, sagte Buddha: „Die Lehre ist wie die Flamme einer Fackel, die unzählige Feuer entzündet. Diese Feuer mögen zum Kochen der Nahrung oder zum Erhellen der Finsternis verwendet werden, doch die Flamme der ersten Fackel leuchtet so hell wie zuvor."

Als Feind aller Rituale verneinte Buddha die reinigende Kraft des Bades. „Ein Mensch wird nicht tugendhaft rein, indem er sich sehr lange mit Wasser reinigt. Ein reiner Mensch, ein Brahmane, ist jemand, in dem Wahrheit und Tugend wohnen." „Der Gaya ist die gleiche Art von Reservoir wie jedes andere."

„Alle eure Regeln", sagte Buddha zu den Fanatikern, „sind minderwertig und unsinnig. Einige von euch laufen nackt herum und bedecken sich nur mit den Händen; andere wollen nicht aus einem Krug trinken oder von einem Teller essen, wollen bei Tisch nicht zwischen zwei Messern, zwei Tellern oder zwischen zwei Leuten, die ein Gespräch führen, sitzen; einige wiederum wollen nicht am gemeinsamen Tisch essen und in einem Hause, in dem es eine schwangere Frau, viele Fliegen oder einen Hund gibt, keine Almosen annehmen.

Einer ernährt sich nur von Gemüse, von Reisbrühe, von Kuh- oder Wilddünger, von Wurzeln, Zweigen, Blättern, Waldfrüchten oder Samenkörnern. Ein anderer trägt sein Gewand lose um die Schultern geschlungen oder bedeckt sich mit Moos, Baumrinde, Pflanzen oder Rentierhaut, trägt sein Haar offen oder verwendet ein Haarband. Wieder ein anderer trägt Trauerkleidung, hält immer die Hände erhoben, setzt sich nicht auf eine Bank oder eine Matte oder sitzt immer in der Art eines Tieres. Einer liegt sogar auf stacheligen Pflanzen oder Kuhmist."

„Weitere Hilfsmittel, durch die ihr euch kasteit und erschöpft, will ich gar nicht aufzählen.

Was erwartet ihr für die freiwillig auf euch genommene, schwere Mühsal? Ihr erwartet Almosen und Respekt vom Laien; und habt ihr dieses Ziel erreicht, werdet ihr den Annehmlichkeiten des vergänglichen Lebens sehr zugetan; ihr wollt euch nicht davon trennen und kennt die Mittel dafür nicht. Sobald ihr in der Feme Besucher bemerkt, setzt ihr euch sogleich in Pose und gebt vor, in tiefe Meditation versunken zu sein, doch sobald sie sich entfernen, tut ihr wieder, was euch beliebt, geht umher oder ruht euch aus.

Gibt man euch einfache Nahrung, gebt ihr sie zurück, ohne gekostet zu haben, doch jeden schmackhaften Bissen behaltet ihr. Obwohl ihr euren Lastern und Leidenschaften nachgebt, kleidet ihr euch in die Maske der Sittsamkeit. Nein, so wird die wahre Vollkommenheit nicht erlangt!"

„Asketismus ist nur nützlich, wenn er keine habsüchtigen Motive verbirgt."

Als Mittel zur Befreiung von den irdischen Banden hat Askese keinen Wert. Es ist viel schwieriger, einen geduldigen Menschen zu finden als einen, der sich von Luft und Wurzeln ernährt oder sich in Rinde und Blätter kleidet. „Kann ein Mensch, der durch Hunger und Durst geschwächt und zu erschöpft ist, um seine Gefühle und Gedanken zu beherrschen, das Ziel erreichen, für das ein klares und erweitertes Bewußtsein vonnöten ist?"

„Damit die Saiten einer Vina einen harmonischen Klang von sich geben, dürfen sie weder überspannt noch zu locker sein. So verhält es sich mit jeder Anstrengung: Ist sie übermäßig, endet sie in zweckloser Energieverschwendung; ist sie zu zaghaft, verwandelt sie sich in Passivität."

„Übt es, Maß zu halten; bewahrt das rechte Maß an Spannung und sorgt für die Ausgewogenheit eurer Fähigkeiten.

Ein disziplinierter Mensch ist frei; und ist er frei, so ist er froh, ruhig und glücklich." Buddha wollte, daß das Leben der Gemeinschaft voll Freude ist.

Als er die Anweisungen für seinen Sohn abfaßte, gebot er ihm, Liebe, Mitgefühl, Geduld und Freude zu bewahren.

 

* * *

 

Nach dem Buddhismus kann ein Mensch eine Tugend nur erlangen, wenn er sie erkennt. Man braucht bei einem Menschen, der Böses tut, die Hoffnung nicht aufgeben, wenn er weiß, was er tut. Er sieht etwas falsch, doch zumindest sieht er. Hat er Wissen erlangt, kann er sein Verhalten ändern. Doch was kann man von einem Menschen erwarten, der mit geistiger Blindheit geschlagen ist? „Von zwei Menschen, die den gleichen Fehler begangen haben, ist jener der schlechtere, der ihn nicht erkennt. Von zwei unschuldigen Menschen ist jener besser, der erkennt, daß er nicht schuldig ist. Denn man kann nicht erwarten, daß ein Mensch, der sich als unschuldig ansieht, Anstrengungen macht, ein falsches Verhalten abzulegen."

Um sich zu heilen, muß man seine Krankheit kennen, doch die Erkenntnis bringt noch keine Heilung; dieser Prozeß erfordert den Einsatz des Willens.

Da der Lehrer alle Erscheinungen als Wechselbeziehungen feinster Energien ansah, schätzte er es bei seinen Schülern besonders, wenn sie Willensanstrengung zeigten. Er lehrte nie die Unterdrückung der Leidenschaften als solche, sondern deren Umwandlung und Verfeinerung, denn jeder Leidenschaft liegt der Energiefunke zugrunde, ohne den keine Weiterentwicklung möglich ist.

Energie und Wille machen den Schüler wachsam und fähig zu beständigem Streben. Diese Eigenschaften wappnen ihn mit Geduld, Stärke und dauernder Beherrschung – drei unentbehrliche Voraussetzungen, um die Horden Maras zu vernichten, so „wie ein Elefant eine Bambus-Hütte zertritt". Geduld wird aus Mitgefühl und Wissen geboren.

Über Intoleranz sagt man, daß „die Fehler anderer leicht bemerkt, doch die eigenen Fehler nur schwer erkannt werden. Ein Mensch durchsiebt die Missetaten seines Nachbarn wie das Korn mit der Spreu, verbirgt aber seine eigenen, so wie der Betrüger die falschen Würfel vor den Mitspielern versteckt."

Nirgendwo wird erwähnt, daß wir uns dem Bösen nicht widersetzen sollen, aber überall wird auf die Ablehnung und aktive Abwehr des Bösen hingewiesen. Man darf sich nicht dem Leid hingeben, sondern sollte vielmehr mutig an der Vervollkommnung des Guten arbeiten und sich nicht mit kleinen Leistungen zufriedengeben. „Wie eine schöne Blume, die farbenprächtig ist, aber keinen Duft verströmt, so sind die feinen, aber fruchtlosen Worte dessen, der nicht danach handelt."

„Ich zeigte meinen Schülern den Pfad, den sie beschreiten müssen, um die vier vollkommenen Bestrebungen zu offenbaren:

- Das Entstehen des Negativen zu verhindern, auch wenn es sich noch nicht offenbart hat.

- Dessen Entwicklung aufzuhalten, falls es sich bereits offenbart hat.

- Die Anzeichen des Guten zu unterstützen, auch wenn es sich noch nicht offenbart hat

- und das Gute, das bereits besteht, zu stärken. So entwickelt der Schüler Willen, Strebsamkeit und Mut, er stärkt sein Herz und kämpft."

Auf keinen Fall können wir Buddha als schwach bezeichnen. Im Gegenteil, er ist der nie verzagte Führer, der Kämpfer für die Gemeinschaft und die Sache, der Held der Arbeit und Eintracht.

Buddha hob die Notwendigkeit der Entsprechung und der Zweckmäßigkeit hervor. Er sagte: „Man sollte weder weniger noch mehr sein!" Seine Anhänger machten aus dieser Definition der Ausgewogenheit die beschwerliche goldene Mitte. Doch die goldene Mitte, oder der mittlere Pfad, sollte als die Verwirklichung der Harmonie verstanden werden. Buddha empfahl auch den Besitz weniger Dinge, um für sie nicht zu viel Zeit aufwenden zu müssen. Diesen Ratschlag verdrehten seine Anhänger in Pedanterie. Buddha verurteilte Fanatiker und riet, mit dem Körper entsprechend den jeweiligen Anforderungen umzugehen. Sollte der Körper für Reisen geeignet sein, empfahl er Schlankheit; wo aber Schutz vor verseuchter Atmosphäre nötig war, befürwortete der Lehrer kräftige Nahrung. In der Lehre Buddhas finden wir nicht nur eine Philosophie der Materie, sondern auch Anweisungen zur sinnvollen Verbesserung des Alltagslebens.

Der Lehrer betonte die Notwendigkeit der Harmonie in den menschlichen Kräften, um ein Höchstmaß an Wissen und Schönheit zu verwirklichen und um die wissenschaftlich gesehen absolute Notwendigkeit eines kosmischen Wirtschaftssystems für das Allgemeinwohl zu gewährleisten.

„In der Güte wird er Ausgewogenheit erkennen, und wenn er über viele Kräfte verfügt, wird er Weisheit mit Mitgefühl verbinden."

„Der wohltätige Mensch hat den Weg der Erlösung gefunden. Er ist wie ein Mensch, der einen jungen Baum pflanzt und damit Schatten, Blüten und Früchte für die kommenden Jahre sicherstellt. Genauso ist das Ergebnis der Nächstenliebe, genauso ist die Freude dessen, der jenen hilft, die Unterstützung brauchen – genauso ist das erhabene Nirwana."

„Unsterblichkeit kann nur durch dauerndes, gütiges Wirken erreicht werden, und Vollkommenheit wird durch Mitgefühl und Nächstenliebe erlangt."

Zeckmäßigkeit und Mitgefühl kommen im folgenden Dialog lebhaft zum Ausdruck:

„Spricht der Gesegnete je ein Wort aus, das falsch, destruktiv und unangenehm ist?"

„Nein.

„Wenn es wahr, destruktiv und unangenehm ist?"

„Auch nicht."

„Wenn es wahr, nützlich und unangenehm ist?"

„Ja, wenn er es für notwendig hält."

„Wenn es falsch, vernichtend und angenehm ist?"

„Nein."

„Wahr, nützlich und angenehm?"

„Ja, wenn er den Zeitpunkt für geeignet hält."

„Warum handelt er so?"

„Weil er für alle Wesen Mitgefühl empfindet."

 

Die Sutren enthalten viele Hinweise auf dieses Mitgefühl; man braucht sie nicht alle aufzuzählen, denn die ungewöhnliche Feinheit und das rührende Verhältnis des Buddha zu seinem Nächsten kommen in der folgenden Episode klar zum Ausdruck:

Als Chunda, der Schmied, hörte, daß Buddha nach Pava gekommen war und sich im Hain aufhielt, ging er zum Gesegneten, erwies ihm seine Ehrerbietung und bat ihn, am nächsten Tag an seinem Mahl teilzunehmen. Buddha nahm die Einladung an, und Chunda ging nach Hause und bereitete für den nächsten Morgen alle erdenklichen Köstlichkeiten vor, unter anderem auch ein großes Stück saftiges Schweinefleisch. Der Gesegnete kam in Begleitung seiner Schüler in das Haus des Schmiedes. Er nahm den für ihn vorbereiteten Platz ein und sagte zu Chunda, dem Schmied: „Chunda, bring mir das von dir zubereitete Schweinefleisch, doch den Schülern gib die anderen Köstlichkeiten, die du vorbereitet hast."

„Ja, Herr", antwortete der Schmied und machte, was der Tathagata ihm geboten hatte.

Dann sagte der Gesegnete: „Chunda, vergrabe, was vom Schweinefleisch übrig geblieben ist, denn ich kenne kein Lebewesen außer dem Tathagata, das es verdauen könnte."

„Ja, Herr", antwortete Chunda, und er vergrub den Rest des Schweinefleischs.

Nachdem der Gesegnete im Haus des Schmiedes Chunda dieses Essen zu sich genommen hatte, bekam er eine schwere Magenverstimmung und litt an fürchterlichen Schmerzen. Da sagte er zu seinem Schüler Ananda: „Erhebe dich, Ananda, wir wollen nach Kusinara gehen." Auf dem Weg dorthin machte der Gesegnete oft Halt, da er an großen Schmerzen, Durst und anderen Qualen litt. So erreichten sie den Fluß Kakutshta. Nachdem er hier gebadet hatte, ging der Gesegnete an den Rand des Haines, legte sich auf das ausgebreitete Gewand und sagte zu Ananda: „Ananda, kann es sein, daß jemand das Gemüt des Schmiedes Chunda in Unruhe versetzt hat, indem er sagte: ,Chunda, welch ein Unglück für dich! Du mußt sehr unglücklich sein, daß der Tathagata die Welt der Täuschungen verließ, nachdem er das Mahl in deinem Hause eingenommen hatte.'"

„Ananda, zerstreue die schweren Gedanken Chundas durch folgende Worte: ,Freund, du mußt dich freuen, denn dein Glück liegt darin, daß alles so geschehen ist. Aus dem Munde des Tathagata selbst hörte ich, daß zwei Speisen, die einem gereicht werden, die gleiche Wertschätzung und Belohnung verdienen – sie ernten größeren Dank und Segen als andere. Welche zwei sind das? Jene, nach der ein Tathagata die höchste und vollkommene Erleuchtung erlangt, und jene, nach deren Genuß er in die Freiheit des Nirwana eingeht.' Mit diesen Worten, Ananda, sollst du die sorgenvollen Gedanken des Schmiedes Chunda zerstreuen."

 

Je tiefer wir in die Lehre des Gesegneten eindringen, um so deutlicher erkennen wir das unendliche Mitgefühl und die Liebe, die seine Gedanken und seine Taten durchdringen. „Ihr sollt so eine unendliche Liebe zu allen Wesen entwickeln wie eine Mutter, die ihr einziges Kind mit ihrem eigenen Leben schützt!"

Buddhas allumfassende Zuneigung zu allen existierenden Wesen erstreckte sich auch auf das Pflanzenreich. Er bemühte sich sehr, niemals Samen oder Pflanzen zu zerstören. Im Anguttara-Nikaya sagt der Gesegnete: „Wer von meinen Schülern nur für einen Augenblick die den Geist erlösende Liebe fühlt, der meditiert nicht vergeblich und befolgt die Grundsätze und die Erziehung des Lehrers; doch noch mehr bewirken jene, die den Gedanken der Liebe in sich entwickeln!"

Im Itivuttaka steht geschrieben: „Alle Arten, sich in diesem Leben Verdienste zu erwerben, sind nicht soviel wert wie der sechzehnte Teil der Liebe, der Befreiung des Geistes. Liebe – die Erlösung des Geistes – nimmt diese in sich auf, leuchtend, glühend und strahlend."

„Und wie das Leuchten der vielen Sterne nicht an ein Sechzehntel der Leuchtkraft des Mondes heranreicht, weil das Mondlicht dieses leuchtend, glühend und strahlend in sich aufnimmt, so sind alle Arten, sich in diesem Leben Verdienste zu erwerben, nicht soviel wert wie der sechzehnte Teil der Liebe, der Befreiung des Geistes."

„Liebe, die den Geist befreit, nimmt sie in sich auf, leuchtend, glühend und strahlend.

Und wie im letzten Monat der Regenzeit im Herbst die Sonne, die am Firmament aufsteigt, in einem klaren und wolkenlosen Himmel alle Dunkelheit in der Weite der Atmosphäre vertreibt, leuchtend, glühend und strahlend; und wie am Ende der Nacht zeitig am Morgen der Morgenstern leuchtet, glüht und strahlt, so sind alle Arten, sich in diesem Leben Verdienste zu erwerben, nicht soviel wert wie der sechzehnte Teil der Liebe, der Befreiung des Geistes. Liebe, die Befreiung des Geistes, nimmt sie in sich auf, leuchtend glühend und strahlend."

Die Liebe des Buddha strömte so grenzenlos, daß sie weder durch Haß noch durch Feindschaft erschöpft werden konnte. Im Gegenteil, solch ein feindseliger Angriff brachte sie nur zu noch reicherer Entfaltung. Daher gebot er seinen Schülern, so zu handeln: „Wie immer die Menschen über euch sprechen, ob angemessen oder unangemessen, ob freundlich oder unfreundlich, ob weise oder töricht, ob gütig oder boshaft – ihr, meine Schüler, müßt euch folgendermaßen erziehen. Unser Geist muß unbefleckt bleiben; nie darf ein böses Wort aus unserem Munde kommen. Wir werden immer mitfühlend und freundlich bleiben, mit einem liebenden Herzen und ohne im geheimen Haß zu fühlen; wir wollen die Menschen in den unerschöpflichen Strom liebender Gedanken eintauchen. Und wenn wir weiter fortschreiten, werden wir die ganze Welt umarmen und sie ständig mit Gedanken liebevoller Güte überfluten – weitherzig, umfassend, sich entfaltend, unbegrenzt wie die Welt, frei von Feindseligkeit, frei von bösem Willen. Darin, Schüler, müßt ihr euch üben!"

Hier sehen wir, daß die Liebe, die seine Schüler entwickeln mußten, der unerschöpfliche Strom der Güte war, die in alle vier Himmelsrichtungen, nach oben und unten und über die ganze Welt ausstrahlte. Nach der Lehre erreichen diese Wellen der Güte, des Mitgefühls oder der Freude, die in den Raum gesandt werden, ein von Sorge und Kummer geplagtes Herz, das plötzlich Frieden und Gelassenheit in sich verspürt.

Der Gedanke ist Energie, und als Energie wirkt er entsprechend seiner Stärke und der ihm verliehenen Antriebskraft.

Liebe – als Erlösung des Geistes – wie sie vom Gesegneten gelehrt wird, lag jeder wirklichen Großtat zugrunde.

„Das Größte von allem ist das liebende Herz."

 

* * *

 

Eine weitere Begebenheit aus Buddhas Leben wurde folgendermaßen überliefert: „Eines Tages saß der Gesegnete am Ufer eines großen Sees, in dessen Tiefen man eine eigene Welt aus Fischen und Wasserpflanzen erkennen konnte. Gotama bemerkte, wie sehr diese kleine Welt dem Hofe eines Königs ähnelte. ,Wenn hier ein Mensch untergeht, so würde er mit seinen Füßen diese vergänglichen Behausungen zerstören, doch zugleich würde er selbst ertrinken. Aus solchen Tiefen erhebt sich der Geist des Menschen nicht mehr.'

,Doch gegen alles', lächelte der Lehrer, ,gibt es ein Heilmittel. Man kann den Felsen zertrümmern und den See trockenlegen. Die Schnecken müssen dann entweder vertrocknen oder sich einen anderen Platz zum Leben suchen. Aber die Menschen werden nicht zugrunde gehen.'"

 

* * *

 

In den buddhistischen Schriften werden sechs Lehrer und Philosophen oft als ständige Widersacher Buddhas erwähnt. Es waren jene Philosophen, welche die theoretischen Grundlagen der Lehre Buddhas in Frage stellten. Zwei Hypothesen in der Lehre des Gotama Buddha waren besonders heftigen Angriffen ausgesetzt: seine Lehre von den Ursachen und seine Ablehnung einer unabhängigen und unveränderlichen Seele im Menschen und im Universum – genau die Hypothesen, die unserem gegenwärtigen Denken so nahekommen.

Während der Lehrer die uns umgebende und für alle sichtbare Realität bestätigte, betonte er die Existenz der feinsten Wirklichkeit, die nur durch höheres Wissen zugänglich wird. Die Kenntnis dieser Realität und den Besitz dieses höheren Wissens können unsere groben Sinnesorgane gewöhnlich nicht aufnehmen.

„Wenn das, was von unseren Gefühlen wahrgenommen wird, die einzige, existierende Realität wäre, dann wäre der Narr von Geburt an im Besitz der grundlegenden Wahrheit. Was für einen Sinn hätte dann alles Streben nach der Erkenntnis des Wesens der Dinge?"

In unserem Gehirn gibt es Zentren, deren Öffnung den Besitz unwandelbaren Wissens ermöglicht. Diese Feststellung zeigt erneut, daß der Lehrer eine rein wissenschaftliche Richtung verfolgte, denn sie steht im Einklang mit den Aussagen zeitgenössischer Wissenschaftler betreffend die vielen Zentren in unserem Organismus, deren Funktionen zwar noch unbekannt sind, aber von denen man annehmen darf, daß sie aufgrund der Wichtigkeit der Lage, die sie einnehmen, von außergewöhnlicher Bedeutung sind.

Die Buddhisten haben vom Gottesbegriff eine eigene Auffassung, die mit dem Karmagesetz und dem Verstehen der Notwendigkeit, sich persönlich für seine eigene Befreiung einzusetzen, übereinstimmt. „Wer formt unser Leben? Ist es Isvara – ein persönlicher Schöpfer? Wäre Isvara der Erschaffer, müßten sich alle Lebewesen schweigend der Macht ihres Schöpfers unterwerfen. Sie wären wie Gefäße, die die Hand des Töpfers geformt hat; und wenn dem so wäre, wie könnte es dann möglich sein, sich in Tugend zu üben? Wenn die Welt durch Isvara erschaffen worden ist, dürfte es weder Leid noch Elend noch Sünde geben; denn sowohl reine als auch unreine Taten müßten aus ihm hervorgehen. Wenn dem nicht so wäre, dann gäbe es eine andere Ursache außer ihm, und er würde nicht allein aus sich heraus existieren. So siehst du, daß die Vorstellung von Isvara verworfen werden muß."

„Man sagt, daß das Absolute uns erschaffen hat. Doch was absolut ist, kann keine Ursache sein. Alle uns umgebenden Dinge entstammen einer Ursache, wie die Pflanze aus dem Samenkorn entsteht; doch wie kann das Absolute in gleichem Maße die Ursache aller Dinge sein? Wenn es sie durchdringt, dann hat es sie sicherlich nicht erschaffen."

„Man sagt, daß das Selbst der Schöpfer ist. Doch wenn das Selbst der Schöpfer ist, warum hat es dann nicht angenehme Dinge geschaffen? Die Ursachen von Freude und Leid sind real und objektiv. Wie können sie dann vom Selbst geschaffen worden sein?"

„Wenn wir nun dem Argument folgen, daß es keinen Schöpfer gibt, unser Schicksal eben so ist, wie es ist, und es keine Ursächlichkeit gibt, welchen Sinn hätte es dann, unser Leben zu gestalten und unsere Anstrengungen entsprechend auszurichten?"

„Deshalb behaupten wir, daß jedes Wesen, das existiert, eine Ursache hat. Doch weder Isvara noch das Absolute noch das Selbst noch ursachenloser Zufall ist der Erschaffer, sondern unsere Taten bringen Ergebnisse hervor, sowohl gute als auch schlechte."

 

„Die ganze Welt unterliegt dem Gesetz der Kausalität und der Ursachen, die mentaler oder nicht mentaler Natur sind – das Gold, aus dem die Schale gemacht ist, ist durch und durch Gold. Wir wollen uns nicht in fruchtlosen Spekulationen über unwichtige Spitzfindigkeiten verlieren; wir sollten unser Selbst und die Selbstsucht aufgeben, und da alle Dinge durch Kausalität geregelt werden, wollen wir Gutes tun, damit Gutes aus unseren Taten hervorgeht."

Wenn die sich ewig verändernde Existenz des Menschen die Hypothese einer konstanten, unveränderlichen Einheit ausschließt, dann könnte das Universum, der Inbegriff des Ganzen, erklärt werden ohne die Notwendigkeit oder auch nur die Möglichkeit, darin ein unveränderliches und ewiges Wesen einzubauen.

Besonders zwei Thesen sind von Buddha verurteilt worden:

1.     Die Bejahung einer ewigen unwandelbaren Seele.

2.     Die Auflösung der Seele nach dem Tod.

Beide Thesen wurden durch das Gesetz der kausalen Schöpfung widerlegt, welches bestimmt, daß alle Dharmas gleichzeitig Ursachen und Wirkungen darstellen.

Buddha verneinte die Existenz einer unveränderlichen Seele im Menschen und in allem, weil er im Menschen und im ganzen Universum nur Unbeständigkeit und Vergänglichkeit sah.

Die These von der Kontinuität des Stromes der Erscheinungen sowie das Gesetz von der Kausalität der Entstehung schließen die Existenz einer ewigen, unveränderlichen Seele aus, sowohl individuell als auch universell.

Die mit dem Wort „Seele" zusätzlich verbundene Vorstellung ist für den Buddhisten absolut unzulässig; denn die Vorstellung, daß der Mensch ein von allen anderen Wesen und vom ganzen Universum abgetrenntes Wesen ist, kann weder logisch bewiesen noch wissenschaftlich untermauert werden. „In dieser Welt ist niemand und nichts unabhängig. Alles, was besteht, hängt von Ursachen und Bedingungen ab.

„Jedes Ding hängt von einem anderem ab, und das, von dem es abhängt, ist seinerseits nicht unabhängig."

 

Buddha lehrte stets, daß es kein unabhängiges „Ich" und keine vom Ich getrennte Welt gibt. Es gibt nichts Unabhängiges und kein isoliertes Leben – alle Dinge stehen in unlösbaren Wechselbeziehungen. Und wenn es kein isoliertes „Ich" gibt, können wir nicht sagen: Dies oder jenes gehört mir! – und dadurch wird die Quelle des Eigentumsbegriffes unbrauchbar.

Wenn die Vorstellung von einer unvergänglichen und unabhängigen, menschlichen Seele abzulehnen ist, was gibt dem Menschen dann das Gefühl, eine fortdauernde Persönlichkeit zu sein? Man wird die Antwort in trishna, dem Hunger nach dem Leben, finden. Ein Wesen, das Ursachen geschaffen hat, für die es verantwortlich ist, und das dieses Verlangen besitzt, wird, entsprechend seinem Karma, wiedergeboren.

Aus ein und demselben Komplex von Elementen (Dharmas) werden unzählige Verbindungen von Skandhas geboren – Elemente, die sich zu gegebener Zeit als eine Persönlichkeit offenbaren und nach einer bestimmten Zeitspanne als zweite, dritte, vierte etc. erscheinen, ad infinitum. Was geschieht, ist keine Wanderung, sondern eine endlose Umwandlung eines Komplexes von Dharmas bzw. Elementen   also eine fortlaufende Wiedergruppierung der Elemente – das sind die Substanzen, die die menschliche Persönlichkeit bilden.

Auf die Qualität dieser neuen Verbindung von Skandhas, den Elementen der neuen Persönlichkeit, hat der letzte Wunsch vor dem

Tod der vorhergehenden Persönlichkeit einen starken Einfluß; er lenkt den freigewordenen Strom in eine bestimmte Richtung.

Im Buddhismus wird der Mensch als Individualität betrachtet, die sich aus zahlreichen Leben zusammengesetzt hat, sich aber bei jedem neuen Erscheinen im irdischen Bereich nur teilweise offenbart.

Die individuelle Existenz, die aus einer ganzen Kette von Leben besteht, die begonnen haben, sich fortsetzen und enden, um wieder anzufangen, ad infinitum, wird mit einem Rad oder einem Jahr mit zwölf Monaten verglichen, das sich ständig wiederholt. Die Kette der „zwölf Nidanas" ist keine Kette mehr, sondern das Rad des Lebens, mit zwölf Speichen. Einmal in Bewegung versetzt, wird das Rad des Lebens, das Rad des Gesetzes, nie mehr anhalten: „Das Rad des Wohltätigen Gesetzes zermalmt in seiner unveränderlichen Drehung unermüdlich die wertlose Spreu und trennt sie vom goldenen Korn. Die Hand des Karma lenkt das Rad, seine Umdrehungen drücken seinen Herzschlag aus."

Dieser ganze Wandel der Formen oder des Seins führt zu einem Ziel – dem Erreichen von Nirwana; das bedeutet die volle Entfaltung aller im menschlichen Organismus enthaltenen Möglichkeiten. Abgesehen von diesem Ziel lehrt der Buddhismus, Gutes zu erkennen und zu schaffen, denn das Gegenteil wäre absoluter Egoismus, und diese berechnende Überlegung ist von vornherein zur Enttäuschung verurteilt. Es heißt: Nirwana ist der Inbegriff der Selbstlosigkeit und bedeutet völligen Verzicht auf alles Persönliche um der Wahrheit willen. Ein unwissender Mensch erträumt und erstrebt Nirwana, doch ohne sich dessen wahren Wesens bewußt zu werden. Gutes zu tun, nur um Ergebnisse zu erzielen, oder ein tugendhaftes Leben zu führen, um Erlösung zu erlangen – das ist nicht der von Gotama gewiesene Weg. Man muß ohne einen Gedanken an Belohnung oder persönliche Bestätigung durchs Leben gehen, so ein Leben ist am wertvollsten.

Den Zustand von Nirwana kann der Mensch in seinem irdischen Leben erreichen.

 

* * *

 

Der Buddhismus macht keinen Unterschied zwischen der physischen und der psychischen Welt. Die der Gedankentätigkeit zugeschriebene Realität ist von derselben Art wie die Realität der Gegenstände, die unsere Sinne erfassen können. Der Gesegnete sagte: „Wahrlich, ich sage euch, euer Geist besteht aus Geist, aber das, was ihr mit euren Sinnen wahrnehmt, ist ebenfalls Geist. Es gibt nichts innerhalb oder außerhalb der Welt, das nicht Geist ist oder Geist werden kann. In allem Sein ist Geistigkeit vorhanden, und selbst der Lehm unter unseren Füßen kann in Kinder der Wahrheit verwandelt werden."

Der Buddhismus sieht alle bestehenden Phänomene als eine Wirklichkeit an. Physisch und psychisch sind diese Phänomene Dharmas, Objekte unserer Erkenntnis. In uns und außerhalb von uns kommen wir nur mit Dharmas in Berührung, da in uns und um uns nichts als Dharma existiert. Das Wort „Dharma" ist eines der wichtigsten in der buddhistischen Terminologie und sehr schwierig zu übersetzen. Dharma ist ein vielfältiger Begriff, ein Begriff des Bewußtseins, dem die Fähigkeit eines bestimmten Ausdrucks innewohnt. Durch unsere Organe erreichen uns Empfindungen, die durch die Tätigkeit der Erkenntnis in Dharmas verwandelt werden. Ideen, Vorstellungen und alle intellektuellen Vorgänge sind in erster Linie Dharmas.

Was Farbe und Form für das Auge und der Ton für das Ohr ist, das sind Dharmas für das Bewußtsein. Sie existieren für uns durch ihre Wirkungen. „Die Farbe Blau existiert nur in dem Ausmaß, in dem wir die Wahrnehmung Blau empfangen."

Es ist üblich, die Lehre Buddhas selbst Dharma zu nennen, da Dharma auch Gesetz bedeutet.

Subjektive und objektive Erscheinungen verändern sich ständig. Sie sind real; doch ihre Realität ist nur augenblickshaft, denn alles, was existiert, ist nur Teil einer ewig vor sich gehenden Entwicklung – Dharmas erscheinen für einen Moment, um sich im nächsten schon wieder zu verändern. Dieser Grundsatz des ewigen Wandels aller Dinge war ein so grundlegender Wesenszug der Lehre, daß sie sogar „Die Theorie der augenblicklichen Zerstörung" genannt wurde.

Dharmas (transzendentale Träger bestimmter Eigenschaften) werden in den Strom des ewigen Wandels der Schwingungen hineingezogen.

Ihre Zusammensetzungen bestimmen die Besonderheiten der Dinge und Individuen. Nur was jenseits dieser Verbindungen liegt, ist unveränderlich. Die alte Lehre kannte nur einen Begriff, der ganzheitlich, unbedingt und ewig ist – Nirwana.

Jedes Dharma ist eine Ursache, denn jedes Dharma ist Energie. Da diese Energie jedem bewußten Wesen innewohnt, manifestiert sie sich auf zweifache Weise: äußerlich, als die unmittelbare Ursache der Erscheinung; innerlich, durch Umwandlung dessen, was sie hervorgebracht hat, und dadurch, daß sie die Wirkungen enthält, die in naher oder ferner Zukunft enthüllt werden.

Festzuhalten ist, daß der physische und psychische Organismus eines Menschen nur die Verbindung von fünf Gruppen von Aggregaten oder Skandhas darstellt, die sich in physische Eigenschaften untergliedern lassen: Form – Rupa, Gefühle – Vedana, Wahrnehmungen – Samjna, Kräfte – Samskara, BewußtseinVijnana. Alle fünf Gruppen sind gleich unbeständig und dual. Samskara sind die Neigungen und schöpferischen Kräfte, sie erklären die gegenwärtigen Dharmas durch die vorhergehenden und geben an, welche von den gegenwärtigen Dharmas jene der Zukunft vorbereiten.

Samskara sind die von früheren Empfindungen hinterlassenen Aufspeicherungen, sie verleihen künftigen Empfindungen ihre Färbung." Aus dieser Definition von Samskara-Skandha geht klar hervor, daß diese Elementgruppe als diejenige erscheint, die alle Eigenheiten der anderen Skandhas absorbiert. Samskara-Skandhas (Kausalkörper) – die Erhaltung dieser Gruppe von Skandhas ist durch die Notwendigkeit der Offenbarung bedingt; wenn diese Notwendigkeit aufhört, werden sie in reines Licht umgewandelt. Vijnana-Skandha und teilweise Samjna verleihen den anderen Verbindungen ihre Färbung oder Eigenart und bestimmen so im Sinne der Bestrebungen und Neigungen die nächste Existenz.

Rupa ist wie ein Teller; Vedana wie die auf dem Teller servierte Speise; Samjna ist wie eine Sauce; Samskara ist wie der Koch und Vijnana wie der Esser." Der Gesegnete sagte: „Sankharas entstehen durch einen Entwicklungsprozeß. Es gibt kein Sankhara, das plötzlich entstanden ist, ohne allmähliches Werden. Deine Sankharas sind das Ergebnis deiner Taten in früheren Existenzen. Die Verbindung deiner Sankharas ist dein Selbst. Wo immer sie sich einprägen, dorthin wandert dein Selbst. In deinen Sankharas wirst du fortfahren zu leben, und du wirst in künftigen Existenzen die jetzt und in der Vergangenheit ausgestreute Saat ernten."

Kein Element wird von einer Existenz in die andere übertragen, aber keines erreicht ein neues Sein, ohne im früheren Leben seine Ursache gehabt zu haben. Wenn das alte Bewußtsein zu bestehen aufhört, bedeutet das den Tod. Wenn aber das Bewußtsein zum Sein zurückkehrt, findet eine neue Geburt statt. Man muß verstehen, daß das gegenwärtige Bewußtsein nicht aus dem alten geboren wurde, sondern daß sein gegenwärtiger Zustand das Ergebnis der in der vorherigen Existenz aufgespeicherten Ursachen ist.

Es gibt keine Übertragung von einem Leben ins andere, sondern eine scheinbare Widerspiegelung, eine Zusammengehörigkeit.

„Der Mensch, der sät, ist nicht derjenige, der erntet; aber er ist auch kein anderer Mensch."

Der Inhalt des Bewußtseins besteht aus Dharmas. Dharmas sind Gedanken. Diese Gedanken sind genauso real wie die vier Elemente oder die Sinnesorgane; denn sobald etwas gedacht wird, existiert es bereits. Der Mensch ist ein Komplex von Verbindungen, und in jedem Augenblick wird sein Wesen von der Anzahl und der Qualität der Teilchen, aus denen er sich zusammensetzt, bestimmt. Jede Veränderung in diesen Verbindungen macht ihn zu einem neuen Wesen. Doch diese Veränderung schließt die Kontinuität nicht aus, denn die Bewegung der Skandhas geschieht nicht zufällig oder jenseits des Gesetzes. In den ewigen Strom von Ebbe und Flut hineingezogen, verändern sich die Aggregate entweder in der einen oder anderen Richtung, wobei die Beschaffenheit jeder neuen Verbindung durch eine Ursache bestimmt wird. Und diese Ursache besteht in der Qualität der vorhergehenden Ursache. Jede auf eine andere folgende Verbindung erntet die Früchte der vorhergehenden Verbindungen und sät die Saat, die in den zukünftigen Verbindungen Früchte tragen wird.

Der Mensch ist ein Komplex von Verbindungen und gleichzeitig das Bindeglied. Er ist ein Komplex, weil er jeden Moment aus einer großen Anzahl von Skandhas besteht; er ist das Bindeglied, weil zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Zuständen gleichzeitig ein Unterschied und eine Verbindung besteht. „Gäbe es keinen Unterschied, dann würde die Milch nicht gerinnen. Und gäbe es keine Verbindung, dann gäbe es für die Milch keine Notwendigkeit, als geronnene Milch zu existieren."

Wir wollen dies durch ein weiteres Beispiel erklären: Physiologisch verändert sich der menschliche Organismus alle sieben Jahre vollständig; und doch ist der Mensch A mit vierzig Jahren absolut identisch mit dem achtzehnjährigen Jugendlichen A. Nichtsdestoweniger ist er auf Grund der ständigen Zerstörung und Erneuerung seines Körpers und der Veränderungen in seinem Geist und Charakter ein anderes Wesen. Der Mensch ist im hohen Alter exakt das Resultat der Gedanken und Taten jedes vorangegangenen Lebensabschnitts. Ebenso erntet die neue Persönlichkeit, die die gleiche Individualität, doch in veränderter Form ist, – in einer neuen Verbindung von Skandhas (Elementen) genau die Wirkungen der Gedanken und Taten in ihren vorangegangenen Existenzen.

Das Bewußtsein und sein sich ewig verändernder Inhalt sind eins. Doch gibt es kein fortdauerndes „Ich", das unveränderlich bleibt. Der Embryo muß sterben, damit das Kind geboren werden kann; das Kind muß sterben, damit der Knabe geboren werden kann, und der Tod des Knaben bringt den Jüngling hervor.

Die menschliche Existenz läßt sich mit einem Halsband vergleichen – jede Perle stellt eine physische Erscheinung dar. Doch vielleicht ist es klarer, sich diese Evolution wie ein komplexe Mixtur vorzustellen, der mit jeder neuen Verkörperung auf der irdischen Ebene ein neuer Bestandteil hinzugefügt wird, wodurch natürlich die Mixtur als Ganze verändert wird. Jede neue Erscheinung wird durch physische Elemente, Rupa-Skandha, begrenzt.

 

* * *

 

Die Energie, die danach strebt, ein neues Wesen zu schaffen, und von Karma gelenkt wird, wird „trishna" – der Antrieb, der Hunger nach dem Leben – genannt. Und wenn dieser Antrieb vom Geist der Lehre durchdrungen wird, erhebt sich vor uns nicht nur das größte kosmische Prinzip, sondern auch das großartigste und schönste, kosmische Geheimnis. Daher betonte Gotama Buddha, der immer wieder auf den ewig dahinbrausenden Strom unserer Leben hingewiesen hat, die kosmische Eigenschaft und als Folge die Unendlichkeit dieses Antriebs, was viele, die die Lehre falsch wiedergeben, verheimlichen wollen; doch der feurige Geist des Lehrers konnte engstirnige Begriffe nur vernichten, indem er sie bis zur Unbegrenztheit erweiterte. Und Nirwana ist das Tor, das uns in den Rhythmus des höchsten, feurigen, schöpferischen und sich ewig entfaltenden Stroms des unbegrenzten Seins hineinführt.

Die Lehre des Buddha ist ein unermüdlicher, feuriger Aufruf zur Verwirklichung des Schönen und zur Vereinigung mit der großartigen Schöpferkraft des unbegrenzten Seins.

 

* * *

 

Was ist Karma? Die Wirkung der Folgen dessen, was der Mensch in Gedanken, Worten und Taten tut. Die innere Wirkung offenbart sich, wie vorher aufgezeigt, nur in bewußten Wesen. Daraus ergibt sich die enorme Verantwortung des Menschen gegenüber allem, was existiert, und vor allem sich selbst gegenüber. „Das, was ich Karma nenne, ist nur Gedanke; denn da der Mensch die Fähigkeit des Denkens hat, handelt er durch seinen Körper, durch Worte und den Geist." Karma entsteht durch Gedanken. „Es gibt keinen Lohn für den, der Gold gibt, wenn er dabei glaubt, einen Stein zu geben." Die Richtung der Gedanken verleiht dem Menschen seinen sittlichen Wert, der durch Taten in die eine oder andere Richtung verändert wird.

„Eine gute Tat offenbart sich und wird vollendet. Und wenn sie selbst auch nicht mehr gegenwärtig ist, so bleiben dennoch ihre Auswirkungen bestehen. Zum Zeitpunkt der Tat entsteht im ,Strom' dieses Menschen eine bestimmte Verbindung von Dharmas." Darin ist die Unzerstörbarkeit der Tat enthalten. Daher erweitert der Buddhismus das rein mechanische Verständnis von Ursache und Wirkung durch Verantwortung. Eine dieser Verbindungen oder Anhäufungen, die wir als Individuum bezeichnen, wird entweder positiv oder negativ beeinflußt durch die Wirkungen der vorhergehenden Verbindung, mit der sie eng verknüpft ist. „Ich lehre nichts als Karma."

Die Beharrlichkeit, mit der Buddha seinen Schülern das Verständnis für die sich aus dem Karmagesetz ergebende, sittliche Verantwortung einzuprägen versuchte, beweist, daß darin die ursprüngliche Wahrheit enthalten ist, unabhängig und absolut – eine Wahrheit, die alle Handlungen des Menschen bestimmen muß. „Die sittliche Kraft einer Tat zu bezweifeln bedeutet, unsere Augen vor dem Offensichtlichen zu verschließen."

„Alle Wesen haben ihr Karma. Sie sind die Erben und die Kinder ihrer Taten; sie sind von ihren Taten völlig abhängig. Taten bewirken die Unterschiede zwischen niederen und höheren Wesenheiten."

„Aus dem, was war, wird geschaffen, was ist. Der Mensch wird geboren entsprechend dem, was er geschaffen hat. Alle Wesen haben Karma als Erbe."

„Nicht nur Samen und Frucht entsprechen einander genau, sondern auch die Tat, wie jeder gute Samen, vermehrt sich hundertfach."

 

Jeder Mensch erhält durch die Wirkung des unbeirrbaren Karma ganz genau das, was ihm zusteht, alles, was er verdient, nicht mehr und nicht weniger. Nicht eine gute oder schlechte Tat, so unbedeutend sie auch sein mag, so geheim sie auch ausgeführt wird, entgeht der genauen Waage von Karma. Karma ist Kausalität und wirkt auf der geistigen, auf der physischen und auch auf anderen Ebenen. Die Buddhisten sagen, daß es in menschlichen Taten keine Wunder gibt; was der Mensch gesät hat, das wird er ernten. „Es gibt keinen Platz auf der Erde oder im Himmel oder unter Wasser oder im Innersten der Berge, wo eine üble Tat dem, der sie verübt hat, nicht Leiden bringt."

„Beleidigt ein Mensch eine harmlose und unschuldige Person, so kommt das Böse zurück auf diesen Narren, wie gegen den Wind geworfener, leichter Staub."

„Das Böse, das verübt wird, gerinnt, wie frisch gemolkene Milch, nicht sogleich. Es folgt dem Toren dicht auf den Fersen, wie ein schwelender Funke, der schließlich in eine Flamme ausbricht."

Ein törichter Mensch, der hörte, daß Buddha den Grundsatz der großen Liebe befolgte, nämlich Böses mit Gutem zu vergelten, kam und beschimpfte ihn. Buddha verhielt sich ruhig und bedauerte die Dummheit dieses Menschen.

Nachdem der Mann mit seinen Beschimpfungen aufgehört hatte, fragte ihn Buddha: „Sohn, wenn ein Mensch ein ihm dargebotenes Geschenk ablehnt, wem gehört es dann?" Der andere antwortete: „Es gehört demjenigen, der es angeboten hat."

„Mein Sohn", sagte Buddha, „du hast mich beschimpft, doch ich weigere mich, deine Beschimpfungen anzunehmen, und fordere dich auf, sie für dich zu behalten. Werden sie für dich aber nicht eine Quelle des Elends sein? Wie das Echo zum Klang und der Schatten zur Materie gehört, so wird unausweichlich Elend über den Übeltäter kommen."

„Ein böser Mensch, der einen tugendhaften beschimpft, ist wie ein Mensch, der aufschaut und den Himmel anspuckt; doch die Spucke beschmutzt nicht den Himmel, sondern sie fällt zurück und besudelt die eigene Person."

„Der Verleumder ist wie jemand, der gegen den Wind Staub auf einen anderen wirft. Der Staub kehrt zu dem zurück, der ihn geworfen hat. Der tugendhafte Mensch kann nicht verletzt werden, und das Elend, das ihm der andere zufügen will, kommt auf letzteren zurück."

Buddha sagte über Toleranz: „Ehre deinen Glauben, doch verleumde nie den der anderen."

 

* * *

 

Grundsätzlich kehren die Menschen zur Erde zurück, bis ihr Bewußtsein über die irdische Ebene hinauswächst. Buddha wies darauf hin, daß es ganze Systeme von Welten gibt, die sich auf verschiedenen Stufen befinden – der höchsten und der niedersten – und daß die Bewohner jeder Welt in ihrer Entwicklungsstufe zueinander passen. Die Welt, in der ein bestimmter Mensch inkarnieren muß, und die Art der Reinkarnation selbst werden durch das Überwiegen seiner positiven oder negativen Eigenschaften bestimmt, in der Sprache der Wissenschaft – die Geburt wird durch seine wahre Anziehungskraft gelenkt, oder durch sein Karma, wie die Buddhisten sagen.

Wie ein Verbrechen stellt auch Reue eine Tätigkeit dar; und diese Tat hat Wirkungen, die die Folgen des Verbrechens ausgleichen können. Buddha sagte: „Wenn ein Mensch, der Böses getan hat, seinen Fehler erkennt, reumütig ist und Gutes tut, schwächt sich die Wirkung seiner Strafe allmählich ab, wie ein Fieber, das seine zerstörende Wirkung in dem Maße, wie der Patient schwitzt, nach und nach verliert."

Karma ist Gedanke; deshalb kann die Qualität des Denkens den Menschen verändern oder ihn sogar völlig von den Wirkungen des Karma befreien. Würden sich Taten übereinander ansammeln, dann wäre der Mensch durch sein Karma wie in einem Zauberkreis eingeschlossen. Doch indem Buddha lehrte, daß es einen Bewußtseinszustand gibt, der die Rückwirkung begangener Taten vernichten kann, zeigte er die Möglichkeit auf, menschliches Leid zu beenden. Wille und Energie entscheiden über Karma. Aus diesen Ausführungen geht klar hervor, daß das Karmagesetz und das Gesetz der Reinkarnation untrennbar miteinander verbunden sind, denn das eine ist die logische Konsequenz des anderen.

 

* * *

 

Unter einigen westlichen Gelehrten war es verbreitet, den Buddhismus als die Lehre der Hoffnungslosigkeit und Untätigkeit anzusehen, was jedoch mit seinem grundsätzlichen Wesen überhaupt nicht in Einklang steht. Buddha, der oberste Vertreter des Allgemeinwohls, enthüllte der Menschheit furchtlos die wirklichen Gefahren des Daseins und offenbarte gleichzeitig den Weg, sie zu vermeiden – dieser Weg ist Wissen. Wer könnte den Menschen, der uns am Rande des Abgrunds Einhalt gebietet, einen Pessimisten nennen?

„Die Menschen leben in einem Haus, das von Flammen umzingelt wird; trotzdem empfinden sie weder Furcht noch Scheu. Sie wissen es nicht; sie sind leichtfertig; sie haben keine Angst; sie versuchen nicht, sich selbst zu retten; sie suchen Vergnügungen und irren in allen möglichen Richtungen dieser dreiteiligen Welt umher, die einem Haus ähnelt, das von Flammen eingeschlossen ist."

„Die Narren glauben, daß sich Leid nur in Schmerzgefühlen äußert. Ihre Gefühle sind verzerrt. Sie sind wie ein kranker Mensch, der sich einbildet, Zucker sei bitter. Ein Wollteilchen, das sich auf der Hand niederläßt, ist nicht wahrnehmbar, doch wenn es ins Auge kommt, verursacht es starke Schmerzen. Die Handfläche ist wie ein unwissender Mensch, das Auge wie ein Weiser. Nur der Weise ist angesichts des Leids in der Welt tief betroffen."

Wenn jemand nach diesen Erläuterungen Buddha einen Pessimisten nennt, wäre er wie jene unwissenden Menschen, die den Doktor töten, der kommt, um die heilende Impfurig vorzunehmen. Und dieselben Menschen, die dazu neigen, der Lehre den Stempel der Hoffnungslosigkeit aufzudrücken, zitieren die Aussage Buddhas: „Ich bin der Zerstörer des Alters und des Todes. Ich bin der beste Arzt. Ich besitze die besten Mittel."

„Trinkt, ihr Gequälten, trinkt die Medizin der Wahrheit und, wenn ihr daran teilhabt, lebt! Wenn ihr sie aufgesogen habt, werdet ihr Alter und Tod überwinden."

Wir zitieren die anerkannte Meinung des Abts des Klosters Kamakura Soyen-Shaku: „Der Buddhismus ist die vernünftigste und logischste Lehre der Welt."

Die Lehre Buddhas, deren ganze Struktur von der Bejahung des selbständigen menschlichen Wesens, das in seinem kosmischen Maßstab den fernen Welten zustrebt, durchdrungen ist, ist voll wahrer Größe und Schönheit.

Natürlich wird die Frage auftauchen, wie der Lehrer der Schönheit in ihrer irdischen Ausformung gedachte. Es ist überliefert, daß die Gedanken des Lehrers selbst in der Stunde des Todes auf das Schöne gerichtet waren; er dachte an die Schönheit der herrlichsten Orte, an denen er vorbeigekommen war.

„Schön ist Rajagriha, die Geierspitze, die Räuberklippe; schön sind die Haine und Berge."

Vaisali, was für ein wunderbarer Ort!"

Alle alten philosophischen Lehren bejahten das Karmagesetz und das Gesetz der endgültigen Befreiung, doch der Wert der Lehre Buddhas liegt darin, daß sie sich, ohne die Grundlagen all dieser wissenschaftlichen und philosophischen Thesen zu verletzen, der Welt zuwandte, der irdischen Arbeit, und aufzeigte, daß man nur durch tatsächliche, anstrengende Arbeit und persönliche Weiterentwicklung wirklich Fortschritte machen kann; auf diese Weise betonte Buddha, daß die Evolution der Menschheit ein organischer Teil des Kosmos ist.

Das von Buddha in bezug auf den Kosmos und die menschliche Existenz so oft verwendete Wort Strom bedeutet nichts anderes als der Begriff, den wir mit unserem Wort Evolution umschreiben.

Buddha sagte: „Der Kontakt zwischen kosmischer Umwandlung und psychischer Energie schafft die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Strom."

Sie wie frühere Lehren die Erde den Menschen entfremdet haben, so erweist sich Buddha als wahrer Pflüger unserer Erde, der die Grundlage für bewußte und wirkliche Arbeit legt. Hierher paßt der Ausdruck, mit menschlichen Händen und Füßen". Und darin liegt der einzigartige Wert der Lehre und der Arbeit des Gotama Buddha. Es gibt keinen schöneren Aufruf an die Welt als diese ständig wiederholte Beteuerung: „Brüder, ich komme nicht, um euch irgendwelche Dogmen anzubieten, und ich bitte euch nicht darum, an das zu glauben, woran so viele andere glauben. Ich ermahne euch nur, euch ohne Vorurteil aufzuklären, d.h. euren eigenen Geist zu gebrauchen und ihn zu entwickeln, anstatt ihn abstumpfen zu lassen. Ich beschwöre euch, nicht wie Raubtiere oder dumme Schafe zu sein. Ich flehe euch an, Menschen mit guten Absichten zu sein, Menschen, die unermüdlich danach streben, wirkliches Wissen zu erlangen, welches den Sieg über das Leid davontragen wird."

Wir interessieren uns hier nicht für die nachträglichen Ergänzungen des Buddhismus, nur die vom Lehrer selbst dargelegten Grundlagen brauchen wir für die Zukunft. In diesen Grundlagen sieht man die Lehre – nicht nur, wie sie mit eisernem Willen verwirklicht wurde, sondern wie sie sich gleichsam mit den Schritten seiner langen Wanderungen einprägte.

Man ist erstaunt über die Argumente, mit denen oberflächliche Forscher die Lehre Buddhas als Lehre der Hoffnungslosigkeit qualifizierten. Das entspricht keinesfalls der Wahrheit! Sie ist eine Hymne an die Wichtigkeit der Arbeit, das Lied über den Sieg der Menschheit, das Lied aufrichtiger Freude!

Die Lehre Buddhas kann als der Versuch zu einer schöpferischen Gemeinschaft bezeichnet werden.

Nicht nur das buddhistische Verständnis, sondern alle gerechten Denker müssen den Wert von Buddhas Bemühungen schätzen.

 

* * *

 

Von jeher ist zwischen dem Buchstaben und seinem Sinn unterschieden worden. Der Lehrer sagte: „Nicht der Buchstabe ist Wissen, sondern der Inhalt."

Buddhas Wort unterscheidet sich vom Buchstaben. Der Lehrer teilt dem Schüler die Wahrheit mit, doch der Schüler kann sie sich nur nach tiefgehender, persönlicher Erkenntnis zu eigen machen.

Nach Aussagen buddhistischer Gelehrter erfüllt die Prämisse, die der Lehre zugrunde liegt, alle Ansprüche des Geistes, doch Geist mit dem beschränkten Verstand unwissender Menschen zu verwechseln wäre äußerst absurd.

Bis heute sind zahlreiche, mehr oder weniger authentische, buddhistische Texte erhalten geblieben, die uns zumindest ungefähr das Wesen der Reden des Lehrers erkennen lassen. Aus diesen Überlieferungen wissen wir, daß der Lehrer niemals zögerte, alle an ihn gerichteten Fragen zu beantworten. Die alten Kompilationen von Buddhas Ausführungen überzeugen vor allem durch die ungewöhnliche Prägnanz und Bestimmtheit des Ausdrucks. Die Sutren sind nichts anderes als Aphorismen oder kurz gefaßte Gedanken Buddhas, die die philosophischen und ethischen Grundsätze der Lehre enthalten. Die Aphorismen Buddhas bewahrten ihre Prägnanz auch in den buddhistischen Überlieferungen, doch wurden bereits Erläuterungen hinzugefügt.

Die Lebendigkeit der Lehre Buddhas war besonders auf die Kraft seiner einfachen Ausdrucksweise zurückzuführen. Er sprach nie in irgendwelchen Versen. Er brüllte wie ein Löwe, wenn es um die Reinheit des Lebens ging. Niemals hielt er lange Predigten, sondern gab Erklärungen nur aufgrund eines besonderen Anlasses, wobei er Gleichnisse verwendete, um den gegebenen Rat zu unterstreichen.

Buddha gebot seinen Schülern, die Lehre immer in der Umgangssprache zu erläutern und tadelte streng jeden Versuch, sie in eine unnatürliche Schriftsprache zu fassen. In den buddhistischen Überlieferungen gibt es Hinweise, daß der Lehrer sogar über die damaligen Grenzen Indiens hinausreiste, nach Tibet, Khotan und Altai.

 

* * *

 

Die überlieferten Einrichtungen des Buddhismus – z.B. die Existenz großer Schulen in jeder Gemeinde, in denen Kurse in Philosophie, Medizin, Mathematik, Astronomie und anderen Gegenständen abgehalten werden – sind unmittelbar auf das Vermächtnis des Lehrers zurückzuführen, der betont hat, daß „Unwissenheit ein Schandfleck ist, der den Menschen mehr als alle anderen Fehler herabsetzt".

Die buddhistischen Schulen sind dem Außenstehenden ebensowenig bekannt wie der genaue Umfang ihrer literarischen Schätze, doch jede neue Information dient dazu, das westliche Verständnis für die innere Struktur des Buddhismus zu fördern. Ohne Sprache, ohne Wissen, ohne Glauben kann niemand in dieses Bollwerk, dem die Gemeinschaft – die Sangha – so nahe ist, eindringen.

Wir sollten nicht vergessen, daß das Wort „Lama" Lehrer bedeutet und nicht Mönch, wie es oft aus Unwissenheit verstanden wird. Seit ältesten Zeiten schrieben gelehrte Lamas Bücher ab, druckten sie mit gravierten Steinplatten und waren äußerst geschickte Künstler, doch als Urheber blieben sie stets anonym. Die Ehrfurcht vor Büchern und Büchereien entspricht in Tibet der Tradition. Unter den gelehrten Lamas war es Brauch, denjenigen, der in einer intellektuellen Auseinandersetzung unterlag, in der Bibliothek einzusperren.

Die Wiederherstellung der alten Vinaya – die Grundsätze moralischer und die Gemeinschaft betreffender Gebote des Buddhismus – galt immer, und besonders jetzt, als die vordringlichste Aufgabe der buddhistischen Kommunalversammlungen.

Ein russischer Gelehrter sagte in einem Vortrag anläßlich einer Ausstellung buddhistischer Objekte in Petersburg: „Wir müssen zugeben, daß die Grundlagen der buddhistischen Philosophie, wenn man sie richtig versteht und in unsere philosophische Sprache übersetzt, eine außerordentliche Affinität zu den neuesten Erkenntnissen im Bereich unserer wissenschaftlichen Weltvorstellung aufweisen. ,Universum ohne Gott', ,Psychologie ohne eine unveränderliche Seele', ,die Ewigkeit der Elemente der Materie und des Geistes', was ja alles nur eine besondere Offenbarung des Gesetzes der Kausalität ist; Vererbung – ein lebendiger Prozeß und nicht nur ein bloßes Vorhandensein von Dingen; und im Bereich des praktischen Lebens die Negierung der Rechte aus dem persönlichen Eigentum, die Ablehnung nationaler Begrenzung, die universelle Bruderschaft aller Menschen, ohne das Recht auf privates Eigentum. Schließlich der allgemein gültige und für uns alle unentbehrliche Glaube, daß wir uns in Richtung Vervollkommnung bewegen und bewegen müssen, ohne Rücksicht auf die Seele und den freien Willen – dies sind die Wesenszüge des Buddhisten und auch unserer gegenwärtigen, neuartigen Weltvorstellung."

Genaugenommen widerlegt die Lehre Buddhas den bestehenden Irrtum, daß Evolution beständig ist und ihre Gesetze von allem unabhängig wirken. Wir wissen, daß alles individuell lebt und sich bewegt; somit muß es eine besondere Koordination und Disziplin geben, damit die erforderliche Ausgewogenheit, oder die Harmonie, nicht beeinträchtigt wird. Die Behauptung, der Mensch müsse sich ungeachtet seiner selbst weiterentwickeln, weil er ein Teil des übergeordneten Evolutionsplans sei, würde bedeuten, ihn zum Spielball des Schicksals zu degradieren.

Mit Bedauern muß man darauf hinweisen, daß die letzten Worte dieses ausgezeichneten Vortrags – „Wir bewegen uns in Richtung Vervollkommnung und müssen uns dorthin bewegen, ohne Rücksicht auf den freien Willen" – in offensichtlichem Widerspruch zu dem Grundprinzip der Lehre stehen, das für das Ziel der Vervollkommnung und des höchsten bewußten Seinszustands eindeutig persönliches Bemühen und äußerste Anstrengung fordert.

 

* * *

 

Wenn wir den Buddhismus und die heutige Wissenschaft betrachten, wird offensichtlich, daß die Buddhisten für alle evolutionären Errungenschaften sehr aufgeschlossen sind. Den Grundstein für diese Eigenschaft legte natürlich ihre Lehre. Wenn wir uns mit den Grundlagen vertraut machen, erkennen wir, wie nachdrücklich die Aussagen des Lehrers durch die Errungenschaften unserer heutigen Wissenschaft bestätigt werden. Dieselben Ergebnisse, die Einstein durch Experimente erzielte, wurden vor langer Zeit von Buddhisten auf rein kontemplative Weise erreicht.

Noch einmal wiederholen wir, daß der Buddhismus nicht als religiöse Offenbarung betrachtet werden kann, denn Gotama Buddha verstand seine Lehre als das Erfassen ewiger Wahrheiten, die ebenso von seinen Vorgängern vertreten wurden.

Gotama lehrte, daß alles, was existiert, aus Akascha oder der Primärsubstanz hervorgegangen ist, in Übereinstimmung mit dem ihr innewohnenden Gesetz der Bewegung, und sich nach einer bestimmten Existenzdauer wieder auflöst.

„Nichts entsteht aus dem Nichts." Buddhisten glauben nicht an Wunder; daher verneinen sie die Urschöpfung und können sich nicht vorstellen, wie etwas aus dem Nichts geschaffen werden kann. „Nichts Organisches ist ewig. Alles befindet sich in einem Zustand kontinuierlichen Fließens, unterliegt dem Wandel und erhält die Kontinuität entsprechend dem Gesetz der Evolution."

„Die Welt existiert durch Ursachen. Jedes Ding besteht aufgrund einer Ursache. Alle Wesen sind durch Ursache gebunden."

Die ständige Veränderung der Welt, die für unsere Sinnesorgane wahrnehmbar ist, und ihren Zerfall beschreibt der Buddhismus als Auflösungserscheinungen, die zeitweilig und periodisch stattfinden; denn nach dem Evolutionsprinzip, das durch das Gesetz des individuellen und kollektiven Karma gesteuert wird, wird die erlöschende Welt wiederum eine neue Welt mit all ihrem Inhalt hervorbringen, genauso wie sich unser Universum aus der Primärsubstanz – der Materie –offenbart hat.

Während er Wunder verneinte, wies der Lehrer auf die verborgenen Kräfte in der menschlichen Natur hin, die, wenn man sie entwickelt, die sogenannten Wunder hervorrufen können.

Die Methode, diese Kräfte zu entfalten, wird in buddhistischen Büchern erläutert und als Wissenschaft „Iddhi-Vidhanana" bezeichnet, nach der es zwei Erscheinungsformen dieser Kräfte gibt und zwei Wege, um sie zu erlangen. Die niedere von beiden kann man durch verschiedene Formen der Askese und andere physische Übungen entwickeln; die höhere, die alle möglichen Erscheinungen umfaßt, wird durch die Kraft der inneren Entwicklung erreicht.

Die erste Entwicklungsmethode dieser Kräfte gewährleistet keinen dauerhaften Erfolg, und das Erreichte kann wieder verlorengehen, während innere Entwicklung nie verlorengehen kann. Ihre Beherrschung wird erreicht, indem man den von Buddha aufgezeigten, edlen Weg beschreitet.

Alle diese verborgenen Kräfte entfalten sich nach und nach im Menschen, meist von selbst, in dem Maße, wie der Mensch die niederen Äußerungen seines Wesens in der ganzen Kette früherer Leben zu beherrschen gelernt hat.

Für die Entwicklung der Kräfte höheren Grades sind vier Voraussetzungen unentbehrlich: 1. Wille, 2. Willensanstrengung, 3. geistige Entwicklung, 4. Unterscheidungsvermögen zwischen Wahrheit und Irrtum. Ein Mensch, der dieses Wissen oder diese Fähigkeiten besitzt, die die Kräfte der Natur verstärken, kann die ungewöhnlichsten „Wunder" vollbringen; mit anderen Worten – er kann jedes wissenschaftliche Experiment durchführen. Buddha ermutigte niemanden zur Offenbarung dieser Kräfte, da sie einen Verstand, der die solchen Erscheinungen zugrundeliegenden Prinzipien nicht kennt, nur verwirren und außerdem eine überladene Atmosphäre mit gewaltsam in Unruhe gebrachten Elementen schaffen.

Das Mahapari-Nirwana Sutra erwähnt ein ungewöhnliches Licht, das der Körper des Buddha ausstrahlte und von seinem engsten Schüler Ananda beobachtet wurde. Der Lehrer erklärte, daß diese physikalische Ausstrahlung bei zwei Gelegenheiten vom physischen Auge wahrgenommen werden kann: 1. Zum Zeitpunkt der großen Erleuchtung eines Menschen, der ein Buddha wird; 2. in der Nacht, wenn so ein Mensch – ein Buddha – endgültig entschläft.

Wer die buddhistischen Quellen studiert, findet viele wertvolle Hinweise auf die rein physikalische Offenbarung der Ausstrahlung. Sie wird als leuchtende und äußerst feine Strahlung beschrieben, die den Menschen umgibt, und ist der innerste Mittler der menschlichen Wahrnehmung. „Diese Materie ist äußerst fein, so wie das Strahlen eines Diamanten, gewichtslos und unverbrennbar, sie verschwindet nach dem Tod, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Trotzdem besteht sie aus Atomen."

Heute ist diese Strahlung den Europäern unter dem Namen „Aura" bekannt. Diese Strahlung ist ganz normal, und man hat wissenschaftlich nachgewiesen, daß nicht nur alle menschlichen und tierischen Organismen sie besitzen, sondern auch Bäume, Pflanzen und Steine. Der erste Gelehrte und Wissenschaftler, der auf diese Eigenart hingewiesen hat, war Baron Reichenbach. Er zeigte auf, daß diese Strahlung etwas ganz Natürliches ist; seine Experimente sind in seinen „Forschungen von 1844–45" detailliert beschrieben.

Auch Dr. Baraduc aus Paris photographierte diese Ausstrahlung, und jetzt widmen sich in London, Amerika und Berlin mehrere Institute dem Studium der menschlichen Emanationen – der Aura. Man hat nachgewiesen, daß diese Ausstrahlung verschiedene Schattierungen haben kann, daß sie sich ausdehnt und ihr Leuchten an Intensität zunimmt, entsprechend der geistigen und intellektuellen Entwicklung des Menschen. Auch gewisse Erscheinungen wie das plötzliche Aufblitzen von Farbstrahlen, die von den Schultern ausgehen, hat man beobachtet. Doch die Wissenschaft konnte die Herkunft dieser Blitze bis jetzt nicht erklären. Erwähnt wurde auch, daß die Kraft des Lichts dieser Ausstrahlungen abnimmt, wenn der Organismaus krank ist.

In ihrem Buch „Die magnetische Aura des kosmischen Menschen" schreibt Mar-Galitu (Frau J.P. Reimann): „Professor Jourevitsch aus Moskau erwähnt die Y-Strahlen der menschlichen Aura, eine kürzlich entdeckte, hochenergetische und unsichtbare Ausstrahlung."

„Nach einem Jahrzehnt intensiven Experimentierens stellte Professor Jourevitsch die Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten dem Internationalen Psychologischen Kongreß in Kopenhagen vor."

„Der Unterschied zwischen der menschlichen Ausstrahlung und jener von Radium und Röntgenstrahlen besteht darin, daß die menschliche Ausstrahlung viel feiner ist und sogar dicke Mauern durchdringen kann, während die Röntgenstrahlen und Radium von einer bestimmten Dichte der Körper, die sie durchdringen, abhängig sind. Die Emanationen verwandeln zum Beispiel gasförmige Ströme, die sonst Nicht-Leiter sind, in bemerkenswerte Leiter magnetischer Kraft. Die grundlegende Eigenschaft der Y-Strahlen ist ihre weitreichende Leitfähigkeit. Unabhängig von Entfernung und Intensität werden diese gasförmigen Ströme unter dem Einfluß menschlicher Ausstrahlung leitfähig. Ihre weitreichende und durchdringende Kraft wird durch den kosmischen Kontakt menschlicher Ausstrahlungen bedingt, und daher schreibt man ihnen eine stärkere Wirkung zu als anderen Strahlen."

 „Außer ihrer weitreichenden Leitfähigkeit und ihrem Durchdringungsvermögen können die γ-Strahlen beim Durchdringen dichter Hindernisse auch mechanische Funktionen ausüben. Wenn γ-Strahlen dicke Metallplatten durchdringen, verursachen sie Ablagerungen, sobald die Strahlen in bewußt konzentrierter Art hindurchgeschickt werden. Bei bestimmten Experimenten bewirken sie eine Brechung der Lichtwellen. Sie können auch fotografiert werden. Die γ-Strahlen der Aura liegen der Levitation und den Telekinese-Phänomenen zugrunde. Die Arbeit von Professor Jourevitsch mit dem Titel , γ-Strahlen als Leiter biophysikalischer Energie' enthält 50 Fotografien seiner Experimente."

Die derzeitige Theorie über hypnotische Suggestion kann man bereits in der folgenden Geschichte über Chullapanthaka in den Pali-Kommentaren zum Dhammapada finden:

Chullapanthaka war ein Schüler, der einige der Kräfte beherrschte. Eines Tages sandte Buddha einen Boten zu ihm, und als dieser die Gemeinschaft erreichte, sah er dreihundert Schüler in einer Gruppe sitzen, und jeder glich dem anderen aufs Haar. Auf seine Frage nach Chullapanthaka antwortete jeder der dreihundert: ,Ich bin Chullapanthaka.' Der Bote kehrte verwirrt zu seinem Lehrer zurück, doch Buddha befahl ihm, sofort wieder zurückzugehen und, sollte wieder das gleiche geschehen, den ersten, der sich Chullapanthaka nennt, bei der Hand zu nehmen und zu Buddha zu führen." Der Lehrer wußte, daß der Schüler seine kürzlich erworbene Kraft entfalten wollte, indem er dem Bewußtsein des Boten ein trügerisches Bild suggerierte. Diese Kraft wird „Mahamaya Iddhi" genannt, und um sie zu offenbaren, mußte sich Chullapanthaka in seiner Vorstellung deutlich sein eigenes Bild vor Augen führen und es dann in der gewünschten Anzahl dem Bewußtsein des Boten suggerieren.

 

Auf die gleiche Art unterstützen die heutigen, wissenschaftlichen Tatsachen die im Buddhismus vertretene Theorie von Karma. Die zeitgenössische Wissenschaft lehrt, daß jede Generation die unterschiedlichen Charakteristika der vorhergehenden Generationen erbt, nicht nur im großen und ganzen, sondern in jedem individuellen Fall.

Die Psychologie findet ihre Daseinsberechtigung in der ausschließlichen und intensiven Aufmerksamkeit, die Buddha den geistigen Prozessen und der Reinigung und Erweiterung des Bewußtseins seiner Schüler zuwandte, da er den Gedanken als den dominierenden Faktor in der Evolution alles Seienden hervorhob. Die psychologischen Vorgänge sind im Buddhismus eng mit der Physiologie verknüpft.

Der Buddhismus zieht keine Grenzlinie zwischen den psychischen Prozessen und der Materie. Die psychischen Vorgänge werden als die Offenbarungen der feinsten Eigenschaften der Materie angesehen.

In den Dialogen des Buddha, Teil II, finden wir einen Hinweis auf die Existenz eines Mentalkörpers, der das genaue Ebenbild des physischen Körpers ist, nach Belieben nach außen treten kann und über große Entfernungen hinweg wirken kann.

„Ganz konzentriert, völlig gereinigt, äußerst klar, frei von Verdorbenheit und makellos, bereit zu handeln, fest und unerschütterlich, setzt er seinen Geist ein und richtet ihn darauf, den Mentalkörper hervorzurufen. Er ruft aus dem irdischen Körper einen anderen Körper hervor, der eine Form hat, aus Gedankenstoff besteht und alle Glieder und Teile besitzt, dem kein Organ fehlt. Es ist, als ob ein Mensch ein Schilfrohr aus seiner Hülse herausziehen müßte. Er weiß genau: Das ist das Schilfrohr, das ist die Hülse. Das Schilfrohr ist eine Sache, die Hülse eine andere. Es ist die Hülse, aus dem das Schilfrohr hervorgezogen wurde." Genauso ruft der Bhikshu aus diesem Körper einen anderen Körper hervor, der eine Form hat, aus Gedankenstoff gemacht ist, alle Glieder und Teile besitzt und dem kein Organ fehlt.

Ausgehend von der Unzerstörbarkeit der Energie betrachtete Buddha alles, was existiert, als Aggregat der feinsten Energien.

Für die heutigen Physiker ist Materie die bewegende Kraft, und die Wahrnehmung der Materie durch den Menschen ist die Reaktion seiner Sinne auf die Schwingungen der Energie.

Und was ist Dharma anderes als Energie? Nach dem Buddhismus existieren Dharmas für uns durch ihre Wirkungen; alle unsere Wahrnehmungen sind vor allem Dharmas.

Wenn man diese Aussage in die heutige Sprache übersetzt, könnte sie etwa lauten: Alle Sinneswahrnehmungen sind ausschließlich Wirkungen der Energie, und Energie ist die einzige Größe, die wirklich existiert. Genauso nimmt Buddhas Bestätigung, daß der Gedanke auch über Entfernungen hinweg wirksam ist, unsere Forschungen im Bereich der Gedankenübertragung und der drahtlosen Vermittlung vorweg. Da der Gedanke Energie ist, unterliegt er als solche in seiner Wirkungsweise dem gleichen Gesetz wie jede andere Energie. Wir wissen, daß die Hertz-Wellen über Tausende von Meilen drahtlos in den Raum hinausgesandt werden, mit dem Ergebnis, daß sie von jedem darauf eingestellten Empfänger aufgefangen werden können. Warum sollte dann der Mensch nicht Gedankenenergie aussenden können, die in dem dafür empfänglichen Menschen identische Schwingungen auslöst?

Somit übernahm Buddha in vielen Wissensgebieten eine Vorreiterrolle. Er betonte auch den Unterschied zwischen dem Augenscheinlichen und der Wirklichkeit. Sein Vergleich des Augenscheinlichen mit einem Trugbild oder einer Illusion (Maya) ist für jede zeitgenössische Diskussion passend.

Diese Große Weisheit könnte, wenn man nicht am Buchstaben hängenbleibt, sondern ihren Sinn erforscht, einen unvoreingenommenen Verstand mit unschätzbaren Werten bereichern.

 

Man kann die Philosophie des Buddhismus als die Analyse einzelner Elemente bezeichnen, die durch die Entstehung eines bestimmten individuellen Stroms in eine Verbindung miteinbezogen werden. Der individuelle Strom wird durch zahllose Inkarnationen des Menschen auf der Erde, auf anderen Ebenen und in anderen Welten angesammelt und genährt. Indem dieser Strom alle Merkmale jeder Inkarnation in sich aufnimmt, vermehren sich die ihm eigenen Möglichkeiten – er verändert sich und erhält sich ewig selbst. Wirkliche Individualität, wahre Unsterblichkeit, liegt in der Verwirklichung des wahren „Ich", das sich aus unzähligen Verbindungen menschlicher Offenbarungen zusammensetzt.

„Jedes Wichtignehmen der Persönlichkeit ist zwecklos; das Selbst ist wie ein Trugbild, und alle Leiden, die es bedrücken, werden vergehen. Sie werden entschwinden wie ein Alptraum, wenn der Schlafende erwacht."

Im Buddhismus ist der Mensch kein machtloser Zwerg, wie es der westlichen Auffassung entspricht, sondern der Herr der Welten. Da er einen Teil des Kosmos darstellt, ist er wie dieser in seinen Möglichkeiten unbegrenzt.

Das Datenmaterial zur Schöpfung des Kosmos, zur Existenz unzähliger Weltsysteme, die unaufhörlich in Bewegung sind, sich manifestieren und wieder auflösen, bestätigt, daß die meisten Welten bewohnt sind und die Organismen, die diese Welten bevölkern, den Eigenarten und der Struktur ihres Planeten völlig angepaßt sind – das sind die Fragen, die zur Zeit den wirklichen Wissenschaftler bewegen.

Somit bestätigt die heutige Wissenschaft, in Übereinstimmung mit den buddhistischen Grundprinzipien, erstmalig den überaus wirklichkeitsnahen Gehalt dieser Lehre – die Realität des lebensspendenden Wesens der großen „Materie".

Wir wollen jenem Großartigen Denker die gebührende Achtung erweisen, der, bewegt durch seinen machtvollen Geist, die gesamten Grundlagen des Seins auslotete, die Lebensprobleme löste und auf die Ziele der Evolution – bewußte Zusammenarbeit mit dem Kosmos und Vereinigung mit den fernen Welten – hinwies.

 

* * *

 

Keine Lehre hat die Zukunft so genau vorausgesehen wie der Buddhismus. Neben Buddha selbst verehrt der Buddhismus auch Bodhisattwas – künftige Buddhas. Laut Überlieferung war Gotama, bevor er den Zustand eines Buddha erreichte, über viele Jahrhunderte ein Bodhisattwa. Das Wort Bodhisattwa enthält zwei Begriffe: Bodhi – Erleuchtung oder Erwachen und Sattwa – das Wesen. Wer sind diese Bodhisattwas? – Die Schüler Buddhas, die freiwillig auf ihre persönliche Erlösung verzichten und, dem Beispiel ihres Lehrers folgend, einen langen, mühsamen und dornigen Pfad der Hilfe für die Menschheit beschritten haben. Solche Bodhisattwas erscheinen auf der Erde unter den verschiedensten Umständen. Sie sind physisch in keiner Weise von der übrigen Menschheit unterscheidbar, doch in ihrer Psychologie unterscheiden sie sich vollständig und agieren unermüdlich als Vorboten des Allgemeinwohls.

Buddha, der sein Augenmerk vor allem auf den Fortgang der Evolution richtete, bat seine Schüler, die zukünftigen Buddhas mehr zu verehren als die der Vergangenheit. „So wie der Neumond mehr verehrt wird als der Vollmond, so müssen jene, die an mich glauben, Bodhisattwas mehr verehren als Buddhas."

In der Geschichte findet sich nirgendwo so ein eindrucksvolles Beispiel von Selbstverleugnung. Nach der Überlieferung sagte der Gesegnete den Bodhisattwa Maitreya als seinen Nachfolger voraus:

„Und der Gesegnete sagte zu Ananda: ,Ich bin weder der erste Buddha, der auf die Erde gekommen ist, noch werde ich der letzte sein. Zu gegebener Zeit wird ein anderer Buddha in der Welt erscheinen, ein Heiliger, ein höchst Erleuchteter, begnadet mit Weisheit in seinem Verhalten, das Universum umfassend, ein unvergleichlicher Führer der Menschheit, ein Herrscher über Devas und Sterbliche. Er wird euch die gleichen ewigen Wahrheiten enthüllen, die ich euch gelehrt habe. Er wird seinem Gesetz Geltung verschaffen, großartig in seinem Ursprung, glorreich auf dem Höhepunkt und wunderbar an seinem Ziel, im Geist und im Wort. Er wird sich für ein rechtschaffenes Leben einsetzen, vollkommen und rein, so wie ich es jetzt verkünde. Seine Schüler werden sich auf viele Tausende belaufen, während die meinen nur viele Hunderte zählen.'

Ananda fragte: , Wie werden wir ihn erkennen?'

Der Gesegnete sagte: ,Er wird als Maitreya bekannt sein!'“

Der zukünftige Buddha, Maitreya, ist, wie sein Name besagt, der Buddha des Mitgefühls und der Liebe. Dieser Bodhisattwa wird aufgrund der Kraft seiner Eigenschaften häufig Ajita – der Unbesiegbare – genannt.

Es ist interessant zu wissen, daß die Verehrung mehrerer Bodhisattwas nur in der Mahayana-Schule akzeptiert und entwickelt wurde. Trotzdem wird die Verehrung eines Bodhisattwa – des Maitreya, der von Buddha selbst als Nachfolger erwählt wurde, – auch im Hinayana anerkannt. So schließt ein Bodhisattwa, Maitreya, alles mit ein – als die Personifikation aller Bestrebungen des Buddhismus.

Welche Eigenschaften muß ein Bodhisattwa besitzen? In der Lehre des Gotama Buddha und in der Lehre des Bodhisattwa Maitreya, die er laut Überlieferung im vierten Jahrhundert Asanga übergeben hat (Mahayana-Sutralankara) wurden vor allem die größtmögliche Entwicklung von Energie, Mut, Geduld, Beständigkeit im Streben, und Furchtlosigkeit hervorgehoben. Energie ist die Grundlage von allem, denn sie allein beinhaltet alle Möglichkeiten.

„Buddhas sind immer in Aktion; Unbeweglichkeit kennen sie nicht. Wie die ewige Bewegung im Raum offenbaren sich die Handlungen der Söhne der Eroberer in den Welten."

„Mächtig, tapfer und festen Schrittes weist er nie die Last eines Opfers für das Allgemeinwohl zurück."

„Es gibt drei Freuden der Bodhisattwas: die Freude des Gebens, die Freude des Helfens und die Freude ewiger Erkenntnis; Geduld immer, in allem und überall. Die Söhne der Buddhas, die Söhne der Eroberer, Bodhisattwas in ihrem aktiven Mitgefühl sind zugleich die Mütter der gesamten Existenz."

In der ganzen buddhistischen Welt weisen die Felsen am Straßenrand, mit den Bildern von Maitreya, auf die nahende Zukunft hin. Seit alters her wird dieses Bildnis bis heute von Buddhisten, die vom Herannahen der Neuen Ära wissen, immer wieder errichtet. Heutzutage reisen ehrwürdige Lamas, begleitet von Schülern, Malern und Bildhauern, durch die buddhistischen Länder und errichten neue Bildnisse des Symbols, das für die Sehnsucht nach einer strahlenden Zukunft steht.

 

* * *

 

Die Lehre Buddhas muß neu geprüft und für die Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Es ist merkwürdig, wenn man heutzutage über die Gemeinschaft nachdenkt, ohne die Grundlagen des ersten wissenschaftlichen Verfechters der Gemeinschaftsidee zu kennen. Die Hand Buddhas bereitete unermüdlich das Experiment des Weltlaboratoriums vor. Die Tatsache, daß Buddha die Weltgemeinschaft für die Evolution der Menschheit als unabdingbar ansah, verleiht an sich seiner Lehre die feurige Überzeugungskraft.

In Buddhas Aufbau der Lehre kann man sich durch unzählige Stufen bewegen, und die Türen werden überall für den Ruf der Gemeinschaft geöffnet sein. Sein gründliches Wissen erlaubte es Buddha, die Entwicklungsstufe seiner Zeitgenossen genau zu erkennen und die Verwirklichung der universellen Gemeinschaft erst in ferner Zukunft zu sehen.

Die Hochachtung vor Buddha war dergestalt, daß niemand das Bild des Lehrers mit dem Attribut der Göttlichkeit trübte. Buddha hat sich den Herzen als Mensch eingeprägt, als Lehrer, der bestätigt. In dieser löwenhaften, feurigen Bekräftigung sah er Maitreya voraus – das Symbol der Ära, die die Großartigkeit der Materie begreift und die große universelle Gemeinschaft bejaht.

 

* * *

 

Der Gesegnete sagte: „Unterscheidet zwischen denen, die verstehen, und denen, die zustimmen. Wer die Lehre versteht, wird nicht zögern, sie im Leben anzuwenden; wer zustimmt, wird nicken und die Lehre als beachtenswerte Weisheit preisen, aber er wird diese Weisheit nicht im Leben anwenden."

„Es gibt viele, die beigepflichtet haben, doch sie sind wie ein verdorrter Wald – fruchtlos und ohne Schatten. Nur Verwesung erwartet sie."

„Es gibt nur wenige, die verstehen, doch wie ein Schwamm saugen sie das kostbare Wissen in sich auf und sind bereit, mit diesem kostbaren Naß die Welt vom Schrecken reinzuwaschen."

„Wer verstanden hat, kann gar nicht umhin, die Lehre anzuwenden; indem er ihre Zweckmäßigkeit erkennt, nimmt er sie als Lösung für das Leben an."

„Verschwendet nicht zuviel Zeit mit denen, die zustimmen. Sie sollen zuerst zeigen, daß sie den ersten Ruf befolgen."

So äußerte sich die sinnvolle Einstellung des Gesegneten gegenüber Neuankömmlingen.

 

* * *

 

All dies bedeutet, daß die Reinigung der Lehre nicht nur auf der Annahme ihrer Grundlagen beruht, sondern auf ihrer Anwendung im Leben. Ein abstraktes Verstehen der Lehre des Gesegneten ist unmöglich. Wir erkennen zwar, wie sehr die Lehre in das Leben eindringt, wenn wir erkennen, wie ganze Länder von der Lehre abfallen, wenn sie, anstatt die Lehre im Leben anzuwenden, diese nur mehr als Anlaß für abstrakte Abhandlungen wahrnehmen. In Tibet ist eine Abnahme des religiösen Interesses offensichtlich. Man kann sogar beobachten, daß die Bön-Lehre, die Antithese des Buddhismus, zunimmt.

Dem Tashi-Lama war es nicht möglich, in Tibet zu bleiben. Seinem Beispiel folgten viele der besten Lamas und verließen Tibet. Ohne diese gelehrten Lamas schlief das religiöse Leben in Tibet dann allmählich ein.

Anhand solcher Beispiele läßt sich nachvollziehen, wie die Lehre nach und nach entstellt wird.

Gleichzeitig aber kann man den Siegeszug der Lehre in anderen Ländern beobachten, wo die Menschen sich bemühen, die Grundlagen im Leben anzuwenden. Denselben Zweck erfüllt die neue Tendenz, den Anhängern des Hinayana mit Toleranz zu begegnen.

Buddha, als die Quelle, und Maitreya, als universelle Hoffnung, werden die Anhänger der strengen Lehre des Südens mit der Vielförmigkeit des Nordens vereinen.

 Was für die nächste Zukunft am wesentlichsten ist, wird sich zweifellos von selbst zeigen. Anstatt mit Kommentaren überhäuft zu werden, wird die Lehre ihre Schönheit, die im Wert der prägnanten Überzeugungskraft liegt, wiedererlangen. Das neue Zeitalter des Maitreya benötigt Überzeugung. Das Leben in seiner Gesamtheit muß durch die Flamme der Errungenschaft gereinigt werden. Der große Buddha, der Maitreya vorherbestimmt hat, beschrieb den richtigen Weg für die gesamte Existenz. Nach diesen weisen und klaren Vermächtnissen verlangt die künftige Evolution.

Die Forderung nach der Reinigung der Lehre kommt nicht zufällig. Die Fristen nahen. Der Geist des Maitreya ist bereit, sich zu erheben. Alle Buddhas der Vergangenheit haben ihre Erfahrungsweisheit vereint und dem zukünftigen Gesegneten übergeben.

 

* * *

 

Der Lama verkündet: „Möge das Leben hart wie ein Diamant sein; siegreich wie das Banner des Lehrers; mächtig wie ein Adler – und möge es ewig währen."

 

* * *